Welche Bilder hat man im Kopf, wenn man an Produktdesign für Senioren denkt? Richtig! Die Bilder, die uns wahrscheinlich in den Kopf schießen, sind defizitorientiert, beige und freudlos – gemacht für einsame, gebrechliche und bemitleidenswerte Personen. Wir erleben Krankenhaus-Style mit wenig bis gar keinem ästhetischen Anspruch.
Es ist ein Fakt: Design für ältere Menschen gilt als total unsexy. Jahrelang hat sich in unserer Gesellschaft das Credo des Anti-Agings gefestigt, also auf gar keinen Fall alt werden. Da wird gecremt, operiert und die eigene Vergänglichkeit ignoriert. In unserer Gesellschaft wurden negative Narrative und Stereotypen über das Altern in den vergangenen Jahrzehnten tief verwurzelt. Altern ist kein individueller Zugewinn, sondern ein kontinuierlicher Verlust.

Die Stunde der Wahrheit
Und doch kommt für uns alle der Tag, an dem die Nägel nicht mehr einfach so ohne Lesebrille lackiert werden können und der Sohn das Marmeladenglas aufmachen muss. Machen wir uns nichts vor: Auch aus dem Designklassiker Togo von Ligne Roset kommt man irgendwann nur noch durch Herausrollen hoch. Die Schwiegereltern meiden das Sitzmöbel gänzlich und platzieren sich diskret auf dem Esszimmerstuhl, unterstützt vom mitgebrachten beigen Keilkissen.
Das ist dann wohl der Zeitpunkt, muss man sich eingestehen, sich eine neue Leselampe oder eine Lupe anzuschaffen. Muss der sorgsam ausgewählte Designklassiker wirklich etwas Praktischerem weichen? Und brauchen die gebrechlichen Eltern ihren ersten Rollator? Und mal unter uns: für welches Produkt würde man sich selbst eigentlich entscheiden?
Die Recherche nach ästhetisch anspruchsvollen Produkten ist mühsam. Man landet bei der Internetrecherche eher auf unattraktiven Sanitätshaus-Seiten als auf Lifestyle-Blogs.
Aber wo gibt es sie, die Produkte ‘of aspiration not desperation’ wie Prof. Peter Gore von der Newcastle University sie nennt. Gibt es Designer und Hersteller, die sich um praktische und ästhetisch ansprechendes Design für eine immer älter werdende Gesellschaft kümmern? Wir gehören alle zu dieser Gesellschaft und sollten selbstbewusst die Tabus, Stigmata und Design Flaws überwinden, die heute noch existieren und scheinbar einvernehmlich gelten – und die von einer Industrie scheinbar als gegeben hingenommen werden.
Der demographische Wandel wird noch stärker in den Fokus unserer Wahrnehmung rücken – einfach weil wir zunehmend mit einer immer größeren Anzahl von älteren Menschen konfrontiert werden – in den Geschäften, im Straßenbild, in unseren Familien. Alter geht nunmal einher mit der einen oder anderen Einschränkung. Die Prognose ist, dass unser Straßenbild deutlich stärker von Menschen mit Rollatoren und anderen Mobilitätshilfen geprägt sein wird. Aber müssen das die heute bekannten Modelle sein?
Neue Horizonte im Design: Alter inklusive!
Dankenswerterweise hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Nicht, dass dies schon in der kollektiven Wahrnehmung angekommen wäre – aber es gibt sie, die Designer und Entrepreneure, die den Willen haben, die Stereotypen des Alterns zu ändern und das Narrativ des Älterwerdens neu zu erzählen. Sie denken darüber nach, wie wir ein lust- und freudvolles Leben bestreiten, nicht nur einfach ein verlängertes. Und damit gehören unattraktive und stigmatisierende Gegenstände für Senioren hoffentlich bald der Vergangenheit an – und stylisches Age Inclusive Design ist Teil unseres Alltags. Denn wir alle werden – ausnahmslos – immer mehr Teil eines inklusiven Alltags werden.
Auf www.age-of-style.com stellen wir gut designte und smart gemachte Produkte vor, machen sie zugänglich und arbeiten auf eine breitere Bewegung hin – sowohl von Seiten der Industrie als auch von Seiten der Kunden.
Denn eins steht fest: We all age. Every day.
Gastbeitrag von Kathrin Bardt, Gründerin & Chefredakteurin Age of Style