Was ein hochdekorierter Kreativer über neue Techniken und alte Stereotype denkt.
Und warum sich unser Verständnis vom Älterwerden grundlegend verändern sollte.
Ingmar Janson ist ein Mann mit einer beeindruckenden Karriere und zahlreichen Auszeichnungen: Ehemaliger Geschäftsführer bei der Werbeagentur Scholz & Friends, Kreativer in Schweden und Südafrika, Marketing-Direktor für ein Cloud-Service-Unternehmen und Stratege für NGOs. Doch heute widmet er sich einem Thema, das uns alle betrifft: dem Altern in einer technologisierten Welt.
Im LIVVING Podcast spricht Ingmar mit uns über Age Tech und Pro Age – Konzepte, die unser Verständnis vom Älterwerden grundlegend verändern könnten. Aber warum beschäftigt sich ein erfahrener Marketingprofi mit diesem Thema?
“Ich gehe auf die 60 zu”, erklärt Ingmar. Diese persönliche Erfahrung treibt ihn an, das Potenzial von Technologie für ein erfülltes Leben im Alter zu erforschen. Sein Credo: “Ich war immer am besten, wenn ich mich mit Dingen aus meinem direkten Lebensumfeld beschäftigt habe.”

Neue Perspektiven auf das Alter
Ingmar Janson kritisiert veraltete Stereotype in der Werbung für ältere Menschen. Statt fahrradfahrender Großeltern oder schriller Paradiesvögel plädiert er für authentische Darstellungen. “Menschen ändern sich nicht grundlegend, nur weil sie älter werden”, betont er.
Age Tech: Schlüssel zu einem selbstbestimmten Alter
Das Podcast-Interview gibt faszinierende Einblicke in die Welt der Age Tech:
• Smartwatches zur Gesundheitsvorsorge
• KI-gestützte Ganganalysen zur Sturzprävention
• Innovative Schutzkleidung mit Airbag-Technologie
• Virtuelle Physiotherapie-Assistenten
Ingmar sieht in diesen Technologien enorme Chancen, warnt aber auch: “Deutschland hat im Bereich Age Tech noch Aufholbedarf.”
Er ruft Start-ups und Investoren dazu auf, dieses Potenzial zu nutzen.
Eine Philosophie des aktiven Alterns
“Man ist dann alt, wenn man mehr Erinnerungen als Pläne hat”, zitiert Janson seinen Großvater.
Seine Vision vom Altern? Gesundheit, soziale Kontakte und ständige neue Herausforderungen.
Der LIVVING Podcast mit Ingmar Janson ist eine Inspiration, das Älterwerden aktiv und positiv zu gestalten. Er zeigt, dass das Alter keine Phase des Rückzugs sein muss, sondern eine Zeit neuer Möglichkeiten und Erfahrungen sein kann – unterstützt durch kluge Technologien und ein zeitgemäßes Altersbild.
Ein Must-hear für alle, die neugierig auf die Zukunft des Alterns sind und die Chancen der Age Tech-Revolution nicht verpassen wollen.
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Interview mit Ingmar Janson:
Age Tech gestaltet die Zukunft des Alterns
Claudia Mattheis:
Lieber Ingmar, herzlich willkommen in meinem LIVVING Podcast-Studio. Ingmar, deine Vita ist beeindruckend, ich kann es nicht anders sagen. Du warst lange bei der Werbeagentur Scholz & Friends als Geschäftsführer, hast Kunden in der ganzen Welt betreut. Du warst danach unter anderem als Kreativer in Schweden und Südafrika tätig, hast als Marketingdirektor für ein Cloud-Service-Unternehmen gearbeitet, hast Fundraising-Strategien für NGOs und politische Organisationen entwickelt. Aber was hat dich jetzt dazu gebracht, dich auf Age Tech und Pro Age zu konzentrieren?
Ingmar Janson:
Ich gehe auf die 60 zu.
Claudia Mattheis:
Okay, damit ist das Gespräch zu Ende.
Ingmar Janson:
Sagen wir mal so: In meiner langen, langen Laufbahn war ich immer am besten, wenn ich mich mit Dingen aus meinem direkten Lebensumfeld beschäftigt habe. Als ich Mitte 20 war, habe ich für Nike SB und für Meißner Porzellan gearbeitet. Das mit Meißner Porzellan war so okay, aber da hatte ich dankenswerterweise ältere Menschen an meiner Seite. Bei Nike SB – also Nike SB ist die Skateboard-Marke von Nike – da war ich richtig gut. Und das hat sich dann wirklich durch meine gesamte Karriere durchgezogen, dass ich irgendwie Projekte gemacht habe, bei denen ich wirklich was zu sagen hatte, und Projekte, die mich interessiert haben. Ich bin ein völlig schlechter Werber oder Kommunikationsmann, weil es mich schlicht nicht interessiert. Das musste ich damals, als ich am Anfang meiner Karriere stand, akzeptieren. Ich musste Kompromisse eingehen – ohne Zweifel. Diese Kompromisse muss ich heute nicht mehr eingehen.
Ich mache jetzt Dinge, die meine direkte Lebenswelt betreffen. Nicht nur, weil es mir Spaß bringt, sondern weil ich auch für den Kunden mehr Wertschöpfung erziele. Und ich bin sehr technologieaffin und glaube fest daran, dass Technologie uns beim Älterwerden dramatisch helfen wird.
Claudia Mattheis:
Okay, dazu werde ich gleich noch ein paar Fragen stellen. Auf deinem LinkedIn-Profil schreibst du: „We are people of a certain age“. Wieso hast du diese Formulierung gewählt? Ich habe viele Formulierungen schon gesehen, wenn es ums Thema ältere Menschen geht – von Babyboomer bis Silversurfer. Aber „certain age“ ist mir neu. Wie kamst du denn darauf?
Ingmar Janson:
Indem ich überlegt habe, welche Altersgruppe ich anspreche – und auch, in welcher Altersgruppe ich bin. Ich bin da zu keinem Schluss gekommen. 55 oder 60 plus oder 85 plus – das ist schwierig. Die Menschen sind einfach zu unterschiedlich. Ich möchte da niemanden in eine Schublade stecken. Sagen wir mal so: Wenn wir Olaf Scholz mit Mick Jagger vergleichen – oder am besten noch mit Keith Richards – die sind beide 60 plus. Aber gibt es da einen riesigen Unterschied? Der eine ist Bundeskanzler, der andere ist cool.
Aber beide haben so ein gewisses Alter, wo man sagt: Okay, da kann sich im Leben noch mal was ändern. Außerdem glaube ich, dass es sogar ein feststehender Begriff im Französischen ist – „une dame d’un certain âge“ – die eine Form von Lebenserfahrung hat, die Weisheit, Coolness und die Fähigkeit besitzt, ihr Leben in vollen Zügen zu genießen.
Claudia Mattheis:
Aber es gibt keine deutsche Entsprechung für diesen Begriff „certain age“?
Ingmar Janson:
Ich glaube nicht. Ist mir nicht vertraut. Und hinzu kam – ganz pragmatisch – die Internetdomain war noch frei, erstaunlicherweise. Das ist ja nun wirklich ein wichtiger Punkt. Was nützt der schönste Name auf Deutsch, wenn es keine Domain mehr gibt? Außerdem bin ich durch meine Tätigkeit Europäer, lebe in Schleswig-Holstein, sehe mich nicht unbedingt als Deutscher. Ich habe Vorfahren mit Migrationshintergrund, bin halber Balte, halber Schwede, und ich finde Deutschland toll. Das ist eine Suppe hier. Und Deutsch ist auch eigentlich meine erste Sprache.
Ich arbeite aber international, und darum bedarf es auch eines Namens, der international ist. Deswegen habe ich von vornherein gar nicht nach deutschen Bezeichnungen gesucht.
Claudia Mattheis:
Okay. Was arbeitest du mit „Certain Age“? Also was ist das, was du da anbietest – für Unternehmen weltweit?
Ingmar Janson:
Ich helfe Unternehmen, Angebote zu erstellen und zu vermarkten – also nicht nur Unternehmen, sondern auch Organisationen, die das Leben von Menschen mit Lebenserfahrung bereichern. Wenn es zum Beispiel eine Werbekampagne ist, sorge ich dafür, dass nicht ausschließlich fahrradfahrende Menschen mit grauen Haaren und komischen Frisuren gezeigt werden, die mit ihren Enkeln spielen. Ja, so was gibt es. Aber das charakterisiert doch nicht meine Lebenswelt. Und ich möchte wirklich auch nicht auf diese Sache reduziert werden.
Ich bin nicht der fahrradfahrende Opa. Und die meisten Menschen, die ich kenne, sind auch nicht die fahrradfahrenden Opas oder Omas. Ja, sie haben Enkel. Ja, sie fahren Fahrrad. Und ja, sie haben komische Frisuren. Aber das macht mich doch nicht aus. Und da diskutiere ich mit meinen Klienten, ob man so was nicht anders darstellen könnte. Das geht in den Bereich Kommunikation. Ein anderer Teil ist auch ganz normale Unternehmensberatung, wenn es darum geht, Altersdiskriminierung im Unternehmen zu erkennen. Ich mag das Wort Altersdiskriminierung nicht, weil es nie nur einen Schuldigen gibt.
Manche Leute begeben sich auch gern in die Rolle des oder der Diskriminierten – da kann man auch selbst rauskommen. Aber wenn es darum geht, solche Mikroaggressionen im Unternehmen zu erkennen und Maßnahmen zu entwickeln, wie man dagegen ankommt, da helfe ich auch gern. Oder wenn es generell darum geht, eine ältere Zielgruppe zu erreichen. Zum Beispiel: Gewerkschaften werden in Zukunft Probleme bekommen, Mitglieder zu behalten, weil viele später oder gar nicht mehr in Rente gehen. Da kann man sich fragen, ob Gewerkschaften überhaupt noch eine Existenzberechtigung haben. So wie sie aktuell aufgestellt sind, glaube ich nicht, dass sie in Zukunft noch eine wichtige Rolle spielen werden. Also müssen sie überlegen, welche Rolle sie einnehmen können und welche Angebote sie bieten, um auch Menschen in der Rente vertreten zu können. Wie werden neue Arbeitszeitmodelle entwickelt – und, und, und. Oder schlicht, wenn es darum geht, bei Age Tech – das sind ja in der Regel junge Menschen, die Technologieprodukte entwickeln, die älteren Menschen beim Leben helfen – Workshops und Design-Thinking-Aktivitäten zu organisieren, in denen ältere Menschen ihre Meinung zu diesen Entwicklungen geben.
Claudia Mattheis:
Das begleitest du also, du bist bei diesen Workshops dabei, du organisierst die und …
Ingmar Janson:
Ich führe diese Workshops.
Claudia Mattheis:
Okay. Noch mal ganz kurz zu den Unternehmen, die du berätst: Was machen die falsch, oder was haben sie noch nicht so ganz verstanden, wenn sie ältere Zielgruppen ansprechen wollen?
Ingmar Janson:
Die machen nichts falsch. Das ist ein relativ neues Thema. Die älteren Zielgruppen waren früher nicht interessant, weil es schlicht und ergreifend so wenige davon gab – und weil die auch schon in einer anderen Welt lebten. Wenn ich an meinen geschätzten Großvater denke: Für meinen Opa – auch als er in meinem Alter war – stand das Thema Pflichterfüllung ganz weit im Vordergrund, und das Geld wurde gespart, um seinen Enkeln und Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen. Europa braucht die Kohle nicht mehr, viele haben selbst genug. Und nicht nur mein Leben, sondern auch das Leben meiner Freunde ist nicht mehr in erster Linie durch Pflichterfüllung geprägt – es hat eher einen hedonistischen Charakterzug. Diese Menschen gab es in diesem Maße früher nicht. Also, wenn es sie so nicht gab – also nicht genügend davon, die ausgabebereit sind, Geld haben und auch noch gesund genug sind, um die Kohle mit vollen Händen rauszuhauen –, war diese Zielgruppe früher nicht interessant.
Das ist heute anders. Diese Zielgruppe ist im höchsten Maße interessant. Nun hat es sich aber ergeben, dass im Laufe der Jahrzehnte gerade das Thema Marketing und Kommunikation in Unternehmen von eher jüngeren Menschen bearbeitet wurde. Und plötzlich ist die Zielgruppe alt. Das kann ich aus eigenem Erleben bestätigen, das war früher ja anders. Früher, wenn eine Marke ein Problem hatte – okay, machen wir eine Rejuvenation Strategy, also Verjüngung – und schon lösen wir alle Probleme damit. Wenn wir das heute machen, wenn wir heute verjüngen, dann konzentrieren wir uns auf eine verschwindend kleine Gruppe. Denn die große Gruppe will nicht verjüngt werden, sie ist alt. Deswegen gibt es relativ wenig Strategien, wie man Menschen in einer neuen Lebensphase, in dieser neuen dritten Lebensphase, die es so vor 20, 30 Jahren nicht gab, erreicht. Und da helfe ich meinen Klienten, weil sie das aus eigenem Erleben, aus eigener Erfahrung und mit internen Kapazitäten einfach nicht hinbekommen.
Claudia Mattheis:
Bei vielen geistert ja auch noch so diese werberelevante Zielgruppe herum, die mit 49 endet. Warum?
Ingmar Janson:
Das war aber schon damals unsicher. Es war eine List von Thoma, um das ganze Thema RTL zu framen, weil er sagen konnte: „Schaut her, bei RTL gibt es ganz viele Menschen zwischen 14 und 49, die RTL gucken – das ist die werberelevante Zielgruppe.“ Das war einfach eine Behauptung. Stimmte nie wirklich. Eine wunderschöne Marketing-List.
Claudia Mattheis:
Aber die hat sich wirklich so als Werbemythos gehalten – bis heute. Und was ich auch festgestellt habe, ist, dass viele Unternehmen gar nicht in Zusammenhang gebracht werden wollen mit dem Thema, dass sie Produkte oder Dienstleistungen für ältere Zielgruppen anbieten. Teilweise habe ich das Gefühl, das ist so ein bisschen ein Widerspruch: Auf der einen Seite ist es eine Zielgruppe, sie wollen aber nicht damit identifiziert werden. Siehst du das auch so?
Ingmar Janson:
Ja. Gerade beim vorherrschenden Altersbild – wer will schon nach Stützstrumpf riechen? Das ist unschön. Und gerade jüngere Menschen wollen damit nicht in Verbindung gebracht werden. Das klassische Altersbild heißt ja, dass man entweder so ein kleines bisschen durchgeknallt ist oder gebrechlich. Damit will man einfach als Jüngerer nichts zu tun haben. Früher war es ja so: Man hatte wenig Möglichkeiten, Zielgruppen gezielt anzusprechen. Dann wurde halt ein TVC gemacht – ein Werbefilmchen – und dieser Werbefilm wurde von 20-Jährigen und 60-Jährigen gesehen. So genau konnte man das ja nicht schalten, auch mit Zeitschriften nicht. Und wenn man dann in der Massenkommunikation jemanden abbildet, der überhaupt nichts mit meiner Lebenswelt zu tun hat, der mich eher an meine Eltern erinnert oder an meine Großeltern …
Und plötzlich läuft jemand durchs Bild, der aussieht wie mein Opa – mit den gleichen Turnschuhen, über die ich mich als 25-Jährige versuche zu identifizieren – dann kaufe ich die Turnschuhe nicht mehr. Das wollte man damals nicht, weil es so viele Junge gab. Heute ist alles anders. Es gibt mittlerweile, gerade im asiatischen und amerikanischen Raum, viele Werbefilme, die unterschiedliche Generationen abbilden. Würde ich so nicht unbedingt machen. Aber durch die digitale Kommunikation gibt es heute eine Million Möglichkeiten, wirklich zielgruppenrelevant zu werben. Ich kann trendige Turnschuhe oder Konzertkarten für Taylor Swift gezielt an 60-Jährige vermarkten, ohne dass es andere mitbekommen. Ich kann das so genau ausrichten – und erreiche auch ältere Menschen, die 55, 60 und älter sind. Früher konnte ich sie nicht erreichen. Jetzt erreiche ich sie.
Was erstaunlicherweise viele nicht wahrhaben wollen oder nicht wissen: Gerade auf Facebook gibt es bald mehr Ältere als Jüngere. Das ändert sich ja auch. Oh Gott – Steve Jobs, würde er noch leben, wäre ein Boomer.
Claudia Mattheis:
Ja, ja. Brad Pitt auch. Madonna sowieso.
Ingmar Janson:
Ja, ja.
Claudia Mattheis:
Und Facebook wird ja auch oft als völlig überalterte Plattform bezeichnet – was natürlich für Unternehmen, die ältere Zielgruppen adressieren, genau die richtige Plattform ist. Aber noch mal ganz kurz zu dem, wie man ältere Zielgruppen anspricht, ohne die jüngeren zu verschrecken. Was ja auch Fakt ist: Menschen bleiben gefühlt 10–15 Jahre jünger in ihrer Selbstwahrnehmung. Also, klassischer Spruch von meiner Oma war: „Ins Altersheim geht sie nicht, da sind nur alte Leute.“ Und das ist ja bei vielen so. Das heißt, wenn ich die Zielgruppe 60, 70 ansprechen will und Menschen in dem Alter zeige, verschrecke ich sie vielleicht sogar, oder nicht? Wie mache ich das denn dann?
Ingmar Janson:
Also, wenn ich Keith Richards zeige, verschrecke ich, glaube ich, keinen 40-Jährigen.
Claudia Mattheis:
Nee, das ist richtig. Also muss es ein cooler Alter sein.
Ingmar Janson:
Das ist bei Jungen ja genauso. Ich biete ja niemals das ab, was ich selbst bin. Das will ich ja nicht sehen. Ich kenne ja alle meine Unzulänglichkeiten. Ich möchte in der Kommunikation eine Art Role Model sehen – oder an den Erlebnissen dieses Role Models teilhaben. Und ein Role Model ist ja eher eine idealisierte Vorstellung meiner selbst. Und diese idealisierte Vorstellung hat nicht unbedingt etwas mit einem 70-jährigen Menschen zu tun. Das ist nicht mein Ideal.
Aber das ist natürlich auch von Vorurteilen geprägt, weil gerade das Altersbild – das, was deine Oma sagte – bestimmte deutsche Altersheime im Kopf hervorruft, die eigentlich sehr traurige Orte sind. Orte des Wegschließens, nicht des Lebens. In anderen Ländern ist das anders. In Südafrika zum Beispiel hatte ich einen 70-jährigen Nachbarn, der in ein Senior Village gezogen ist. Das war ein kleines Dorf mit vielen altersgerechten Bungalows – eine ganz normale gated community, wie sie dort üblich ist. Da gab es mehr Ärzte, mehr Physiotherapeuten und alles, was man braucht. Und dort lebten nur Menschen über siebzig. Donnerwetter, haben die Partys gemacht! Das war richtig toll.
Ich habe ihn besucht – da habe ich gedacht: „Hier ist schön, hier würde ich auch gern wohnen.“ Und er sagte: „Mein lieber Ingmar, werd erst mal 70, dann kannst du hier einziehen.“ Das war richtig toll. Da hatten auch hochaltrige Menschen Spaß am Leben. Manche fuhren mit ihrem Elektrowägelchen herum, weil alles so eingerichtet war, dass man bequem einkaufen und sich bewegen konnte. Das war toll. So etwas habe ich in Deutschland noch nicht gesehen. In Australien gibt es das eher – meine Oma lebte dort in so einer Einrichtung. Großartig.
Claudia Mattheis:
Es gibt immer mehr Initiativen, die genau so etwas befördern. Auf unserer Plattform LIVVING.de versuchen wir ja auch, genau solche Wohn- und Lebensprojekte vorzustellen. Es werden immer mehr. Die sind nicht ganz so einfach zu organisieren, das braucht Zeit. Aber sie sind in Planung, und bei vielen findet tatsächlich ein Mentalitätswechsel statt – weil kaum jemand sich vorstellen kann, wenn er älter wird, in ein Seniorenheim zu gehen. Das ist ja der absolute Worst Case.
Du hast gerade deine Zeit im Ausland angesprochen. Du hast ja als Werber auch im Ausland gearbeitet. Sind dort die Altersbilder anders?
Ingmar Janson:
Ja.
Claudia Mattheis:
Wie konkret?
Ingmar Janson:
Jünger.
Claudia Mattheis:
Okay.
Ingmar Janson:
Ich habe lange in Stockholm gelebt, auch in Kapstadt. Und der Unterschied zu Deutschland: Ich habe das Gefühl, dass man hier ab 75 nur noch beige trägt oder geblümte Blusen. So sieht kein 75-Jähriger aus – auch vom Kleidungsstil. In Kapstadt und Stockholm kannst du 70-Jährige im Klamottenstil nicht von 30-Jährigen unterscheiden. Die kaufen in denselben Läden. Hier habe ich – ich pauschalisiere jetzt –, ein sehr altes Bild: Menschen mit komischen Klamotten, überwiegend in Beige und Grau. Das Thema Frisuren auch: Ich beobachte auf dem Wochenmarkt, dass viele grauhaarige Menschen über 70 – Männer wie Frauen – die gleiche praktische Kurzhaarfrisur haben. In Kapstadt oder Stockholm ist das anders. Da haben 70-jährige Frauen lange, wallende Mähnen. Es gibt auch keine „Seniorenfriseure“. Die gehen einfach zum Friseur, lassen sich die Haare machen – so, dass es gut aussieht.
Claudia Mattheis:
Das wäre ja wirklich ein spannender Forschungsgegenstand. Wenn ich mir z. B. die Frisuren von Frauen 60 plus in Italien oder Spanien anschaue – die sind ja auch krass, aber alle ähnlich. Gerade spanische Frauen haben ab einem bestimmten Alter alle die gleiche Haarfarbe und Kurzhaarfrisur – aber alle in so einem „blond-irgendwas“. Okay, interessant. Also die Altersbilder sind unterschiedlich. Wie stellst du dir das ideale Bild eigentlich vor? Wenn du als Werber eine Kampagne machst – wie würdest du die Menschen darstellen? Schrill, bunt, tätowiert?
Ingmar Janson:
Auf gar keinen Fall schrill und bunt.
Claudia Mattheis:
Weil das sieht man ja oft. Das ist ja auch das, was mich persönlich total aufregt: Es gibt gefühlt drei Pole – schrill, bunt, grell; dann die wunderschönen Silver Models; und dann senil. Das, was man gerade in der Corona-Pandemie gesehen hat. Wie siehst du das?
Ingmar Janson:
Ich würde sie etwas schillernder abbilden als die Realität. Die Realität muss das Vorbild sein. So funktioniert Kommunikation: Man bildet nie 1:1 ab. Aber komplette Kunstfiguren zu erfinden – wie die grellbunten, durchgeknallten Alten – die gibt es nicht.
Claudia Mattheis:
So wie Iris Apfel aus New York, die ja leider verstorben ist, oder Britt Kanja aus Berlin – die ja wirklich so aussieht, aber schon immer so aussah.
Ingmar Janson:
Ja, absolut. Ich finde diese Frau toll, aber sie ist auch ein bisschen schuld daran. Sie hat es geschafft, für einen bestimmten Typus „alt“ als Role Model zu gelten. So sehen also wilde Alte aus. Interessant. Aber daraus ist ein Stereotyp geworden. Wenn man sich jetzt YouTube-Kampagnen anschaut, sind da ganz viele ältere Menschen, die so knallbunt durchgeknallt wirken. Die sind aber nicht so. Die werden von ihren jugendlichen Enkeln, damit diese Reichweite machen, so verkleidet – „Oma, setz mal eine bunte Brille auf und tanz!“ Das macht Oma dann gern. Aber da geht es nur darum, Reichweite in der jüngeren Generation zu erzeugen. Ich habe ja auch keine knallbunte Brille auf – und du ja auch nicht. Ich vermute, dass wir beide in 15 oder 20 Jahren nicht so aussehen werden wie Iris Apfel, sondern relativ normal. Und normal bedeutet: so, wie wir schon immer ausgesehen haben, nur mit knittriger Haut.
Weißt du, so wie ich rumlaufe, laufe ich seit 30 Jahren rum. Ich trage immer Basecap, jetzt gerade Nike SB-Schuhe – also Skateboard-Schuhe in Grün. Die habe ich damals als Jüngerer vermarktet, die gibt es immer noch. So laufe ich rum. Und das wird sich doch nicht ändern, nur weil ich älter werde. Ich mag maßgeschneiderte Anzüge, wenn ich arbeite. Die tausche ich doch nicht gegen eine schlecht sitzende beige Hose in zehn Jahren.
Solche Leute werden aber abgebildet. Darum geht es: Lebenswirklichkeiten erkennen und diese Lebenswirklichkeiten attraktiv gestalten. Das ist genau das Gleiche, was wir auch mit 20-, 30- oder 40-Jährigen machen. Da bilden wir die Menschen ab, wie sie sind – aber ein bisschen attraktiver. Nur ältere Menschen werden als radelnde Partykreise mit Enkeln dargestellt – was sie nicht sind.
Claudia Mattheis:
Ja, oder einsam auf der Bank sitzend.
Ingmar Janson:
Ja, einsam auf der Bank sitzend, mit dem Kopf wackelnd. Gebrechlich oder klugscheißend. Ich habe letztens ZDF gesehen – das Werbefernsehen am frühen Abend ist grauenhaft. Da geht es um ein Schlafmittel, bei dem zwei unfassbar klugscheißende Männer einer deutlich jüngeren Frau das Produkt anpreisen. Und diese Männer – so Ende 60 – haben offenbar nicht begriffen, dass sich die Zeiten geändert haben. Das ist das Hirngespinst eines 30-jährigen Kreativdirektors. Was will der damit erreichen? Grauenhaft.
Claudia Mattheis:
Ich kann es mir lebhaft vorstellen. Okay. Ein Thema bei dir ist ja auch Technologie.
Ingmar Janson:
Ja.
Claudia Mattheis:
Und du schreibst ja auch sehr viel auf LinkedIn, unter anderem. Du siehst neue Technologien als Chancen für ältere Menschen. Welche Tech-Trends findest du besonders spannend? Gibt es da Dinge, bei denen du sagst: „Das ist wirklich revolutionär“ oder „da muss man weiterentwickeln“?
Ingmar Janson:
Was ich persönlich besonders spannend finde, ist das Erkennen von Daten. Also erst einmal das Tracken von Vitalwerten – und dann, aufgrund dieser Vitalwerte, Prognosen zu erstellen, wie es mir nächste Woche gehen wird. Diese Ansätze gibt es ja schon. Ich hatte vor Kurzem Corona und habe mich lange mit dem Thema beschäftigt, weil ich schwer an Long Covid erkrankt war. Jetzt hatte ich wieder Corona – kein großes Ding. Aber ich habe anhand meiner Herzfrequenz gesehen, dass etwas nicht stimmt. Ich bin nach wie vor Leistungssportler und tracke jeden Zentimeter und jede Sekunde meines Lebens mit verschiedenen Parametern, z. B. über die Apple Watch. Plötzlich war mein Ruhepuls deutlich erhöht – von 47 auf 55. Das ist für normale Menschen gut, aber für mich ein Warnzeichen. Und prompt war ich ein paar Tage später Corona-positiv.
Als ich wieder anfing zu trainieren, sank der Ruhepuls, die Viruslast war schnell weg, aber der Ruhepuls blieb noch gestört. Also habe ich nicht weitertrainiert – und dadurch keine Herzmuskelentzündung bekommen. Solche Daten ermöglichen ein gesünderes Leben. Oder – das wird künftig relevant – die Uhr kann schon jetzt erkennen, ob ich beim Gehen schwanke. Daraus kann der Algorithmus ableiten, ob du sturzgefährdet bist.
Claudia Mattheis:
Genau, das kenne ich. Ich trage den Oura-Ring, der kann das auch. Der hat mich neulich vorgewarnt, dass ich wohl eine Erkältung bekomme – bevor ich sie hatte. Das Gangbild wird analysiert und vieles mehr. Diese smarten Technologien werden für ältere Menschen immer relevanter.
Ingmar Janson:
Genau. Und wenn der Algorithmus sagt: „Ingmar, sei vorsichtig mit deinem Gangbild, du hast eine erhöhte Sturzgefahr“, dann kaufe ich mir eben eine Airbag-Unterwäsche, die sich beim Fallen aufbläst.
Claudia Mattheis:
Ich kenne das nur für Fahrradfahrer – diese Halskrause, die sich aufbläst. Und das gibt’s auch für Unterhosen? Dass sich der Schlüpfer aufbläst, wenn man fällt?
Ingmar Janson:
In Japan schon, in Deutschland noch nicht. Das gibt es tatsächlich. Ich fahre leidenschaftlich gern Motorrad – auch schnell, aber natürlich auf der Rennstrecke. Ich habe mir eine Protektorenweste gekauft, die aussieht wie normale Motorradkleidung, aber einen Hals-Airbag hat. Wenn ich stürze, misst ein Sensor bestimmte Parameter, die Weste bläst sich auf – und ich überlebe. Das gibt es schon. Noch teuer, aber je mehr Menschen es nutzen, desto günstiger wird es. Bevor ich mir also mit 75 die Hüfte breche, kaufe ich mir lieber so eine Protektorenhose.
Es gibt unzählige Beispiele. Was ich aus dem Leistungssport kenne, sind mustererkennende Systeme. In China erkennt man anhand des Gangs, welche Person es ist. Diese Technologie wird zur Überwachung missbraucht – aber man könnte sie auch für Physiotherapie nutzen. Physiotherapie ist ein knappes Gut, und das wird knapper. Gerade ältere Menschen haben Zipperlein, die man mit den richtigen Bewegungen beheben könnte. Ein Physiotherapeut zeigt die Bewegung und korrigiert sie. Das kann ein Algorithmus inzwischen auch: Er erkennt, ob du die Bewegung falsch machst, und sagt dir: „Lieber Ingmar, Arm heben ist prima, aber mach mal etwas weiter nach rechts.“
Claudia Mattheis:
Das ist ja wie ein Computerspiel. Gibt es das jetzt schon, oder ist das noch Zukunftsmusik?
Ingmar Janson:
In Südkorea gibt es die ersten Tests. Das ist das Dramatische: Überall schon – bloß nicht bei uns. Wenn man etwas über Age Tech lernen möchte und den Umgang mit einer älter werdenden, aber gesunden Bevölkerung, muss man nach Japan, Südkorea oder in die USA schauen. Bei uns wird man nicht fündig. Wir verpassen das mal wieder – wie die digitale Transformation.
Claudia Mattheis:
Aber wir haben doch eine boomende Start-up-Szene? Oder ist da nicht so viel los hinsichtlich Age Tech?
Ingmar Janson:
Naja, im Augenblick sind FinTechs angesagt, GreenTech auch ein bisschen. Dann versucht man halt, Nahrungsmittel von A nach B zu transportieren und Lieferservices zu machen. Die ganze Age-Tech-Geschichte – sie beginnt langsam. Es gibt erste Fonds, die sich in diese Richtung entwickeln, aber sie haben sich noch nicht durchgesetzt. Bei der aktuellen Zinspolitik haben selbst andere Start-ups Finanzierungsprobleme. Es ist einfach zu wenig Geld im Markt. Wenn sich die Wirtschaftslage ändert, die Zinsen sinken und Anlagen wieder attraktiver werden, hoffe ich, dass es in Richtung Age Tech geht. In Asien und den USA ist das erkennbar, in Europa auch – in Großbritannien – in Deutschland weniger.
Claudia Mattheis:
Okay, also wäre der nächste Plan: Wir gründen hier Age-Tech-Start-ups mit Ende 50, Anfang 60. Damit auch gleich zu meiner letzten Frage: Lieber Ingmar, was hast du denn noch alles vor? Wie willst du in Zukunft leben, und was sind deine Pläne? Willst du ein Unternehmen gründen? In die große weite Welt? Noch mal als Werber durchstarten – oder alles ganz anders?
Ingmar Janson:
Ja, genau.
Claudia Mattheis:
So, danke.
Ingmar Janson:
(lacht) Ja. Also, mein hochgeschätzter Großvater – der mit 90 vor etwas mehr als zehn Jahren gestorben ist – sagte immer: „Man ist dann alt, wenn man mehr Erinnerungen als Pläne hat.“ Und ich werde niemals alt werden, weil ich immer mehr Pläne haben werde als Erinnerungen. Ich würde mich auch zu Tode langweilen. Das Thema „durchstarten“ – ich habe ja nie aufgehört. Ich habe mich immer mit irgendetwas beschäftigt. Manche Sachen waren weniger klassisch, manche mehr. Ich habe in meinen 30ern 80 Stunden die Woche gearbeitet – das würde ich heute nicht mehr machen. Ich beschäftige mich heute mit anderen Dingen. Ich verbringe viel Zeit damit, auf meine Gesundheit zu achten, mich mit Ernährung und Sport zu beschäftigen – all das, was sich in den nächsten Jahren auszahlen wird. Mir sind soziale Kontakte viel wichtiger als früher. Den Hund hegen und pflegen ist wichtiger geworden. Dafür ist das Thema Geldverdienen nicht mehr so wichtig – ich habe etwas verdient, ich habe gespart.
Ich muss nicht mehr 80 Stunden die Woche arbeiten, um Haus und Hof zu schaffen. Das habe ich alles gemacht. Ich bin jetzt ein typischer Mensch in der dritten Lebensphase. Ich habe ganz viel gesät – und jetzt wird geerntet. Aber trotzdem schaue ich immer noch: Wo kann ich neue Dinge machen? Für mich ist es wichtig, Neues zu machen – egal in welchem Bereich.
Claudia Mattheis:
Das ist, glaube ich, auch das allerbeste Schlusswort. Wir werden also noch viel von dir hören und sehen – du als Mensch „of a certain age“.
Ingmar Janson:
(lacht) Dein gesamtes Vermögen, gesundes Leben – und dann vom Blitz getroffen.
Claudia Mattheis:
Prima, dann bist du wenigstens fit gestorben. Und hattest bis dahin eine gute Zeit. Ich meine, darum geht es ja auch – dass man, solange man da ist, möglichst fit und vielleicht auch glücklicher ist.
Ingmar Janson:
Ich werde tatsächlich gesund und glücklich sterben. Dass ich irgendwann sterbe, daran kann man nichts ändern – aber bis dahin will ich gesund und glücklich sein.
Claudia Mattheis:
Das wünsche ich dir von Herzen. Ich freue mich, weiter von dir zu hören. Lieber Ingmar, vielen, vielen Dank für das Gespräch.
Claudia Mattheis

Claudia Mattheis (Jahrgang 1966) bringt mit 30 Jahren Führungserfahrung als Geschäftsführerin einer Werbeagentur und Chefredakteurin von Print- und Online-Medien strategische Expertise und ein starkes Netzwerk mit. Diese Kombination bildet das Fundament für ihre Mission: LIVVING.de zur führenden deutschsprachigen Plattform für Wohnen & Leben 50plus zu entwickeln. Ihre Leidenschaft für zielgruppengerechte Kommunikation verbindet sie mit einem tiefen Verständnis für die Bedürfnisse der Generation 50plus. Als versierte Netzwerkerin schafft sie Verbindungen zwischen Partnern, die gemeinsam die Lebenswelt einer wachsenden demografischen Gruppe neu denken wollen. Mit ihrem Mann Siegbert Mattheis lebt sie in Berlin-Prenzlauer Berg.
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