Das Berliner Start-up Silberdraht hat eine einfache, aber geniale Lösung gefunden: Wichtige digitale Inhalte werden über das Telefon zugänglich gemacht – ohne Smartphone, ohne Internet, ohne komplizierte Technik.
Das Team, bestehend aus Niklas Droste, Daniel Puscher, Theresa Henze und Susanne Steigler, engagiert sich ehrenamtlich, um Seniorinnen und Senioren den Zugang zu wichtigen Informationen zu erleichtern. Doch um das Projekt bundesweit auszurollen, braucht es mehr Unterstützung – von Kommunen, der Politik und engagierten Partnern.
Ich bin Claudia Mattheis, Chefredakteurin von LIVVING, und habe mit Theresa Henze und Susanne Steigler über ihr Herzensprojekt gesprochen. Wir reden über digitale Hürden im Alter, das Potenzial von Silberdraht – und die Frage, warum Politik und Gesellschaft dringend umdenken müssen.

Das Wichtigste auf einen Blick
- Silberdraht ermöglicht älteren Menschen den Zugang zu digitalen Informationen über das Telefon – ohne Internet oder Apps.
- Der Service läuft bereits erfolgreich in Heidelberg und bietet lokale Informationen wie Veranstaltungen, soziale Angebote oder Hilfsdienste.
- Ältere Menschen ohne digitale Endgeräte oder Internetanschluss erhalten so einen niederschwelligen Zugang zu wichtigen Informationen.
- Das Team arbeitet ehrenamtlich und sucht politische und finanzielle Unterstützung, um den Service in weiteren Städten anzubieten.
- Die Vision: Eine analoge Brücke zur digitalen Welt bauen, damit niemand im Informationszeitalter zurückbleibt.
Warum brauchen wir eine analoge Brücke zur digitalen Welt?
Die Digitalisierung schreitet voran, doch nicht jeder kann mitkommen. Rund 50 Prozent der über 65-Jährigen haben keinen regelmäßigen Internetzugang. Viele Seniorinnen und Senioren verfügen nicht über ein Smartphone oder tun sich schwer, es zu bedienen. Andere haben finanzielle Einschränkungen oder schlicht kein Interesse an der digitalen Welt.
Doch das bedeutet oft auch: Kein Zugang zu wichtigen Informationen.
Veranstaltungen, soziale Hilfsangebote oder Verwaltungsinformationen werden heute fast ausschließlich online bereitgestellt. Wer kein Internet hat, ist darauf angewiesen, dass jemand ihn informiert.
Doch was, wenn es niemanden gibt, der hilft?
Theresa definiert das Problem so: „Wir hören oft, dass Digitalisierung für alle funktionieren soll – aber in der Realität bleiben viele ältere Menschen außen vor. Mit Silberdraht überbrücken wir diese Lücke. Jeder, der ein Telefon bedienen kann, kann unseren Service nutzen.“
Wie können ältere Menschen an digitalen Informationen teilhaben, wenn sie keinen Internetzugang haben?
Silberdraht hat die Antwort!
Die Gründerinnen über ihre Motivation: „Wir haben uns 2020 beim Hackathon Wir vs. Virus kennengelernt und wollten eine Lösung für ältere Menschen schaffen, die von der Pandemie und der digitalen Isolation betroffen waren.“
Die Idee war, digitale Inhalte analog zugänglich zu machen – über das Telefon. Das erste Projekt war das Podcastphone, eine Art Audio-Bibliothek, die über eine einfache Telefonnummer erreichbar war.
Heute ist daraus eine funktionierende Plattform geworden, die bereits in Heidelberg eingesetzt wird. Seniorinnen und Senioren können dort per Telefon:
Veranstaltungstipps und Treffpunkte abrufen,
Öffnungszeiten von sozialen Treffpunkten oder Behörden erfahren,
Hilfsangebote wie Essenslieferungen oder Seniorenberatung finden.
„Die Stadt Heidelberg hatte bereits einen digitalen Senioren-Wegweiser – aber viele ältere Menschen konnten ihn nicht nutzen, weil sie keinen Internetzugang haben“, erklärt Susanne.
Silberdraht hat dieses Angebot ins Telefonnetz gebracht: „Alles, was sonst online steht, ist jetzt auch per Anruf abrufbar.“
Warum ist Silberdraht eine so wichtige Lösung für ältere Menschen?
Wer als Senior oder Seniorin keine Angehörigen hat, die helfen, ist schnell raus aus der digitalen Welt!
Das Problem fängt schon mit Kleinigkeiten an: Ein Smartphone muss regelmäßig aktualisiert werden, Apps ändern sich, Webseiten sind kompliziert aufgebaut. Viele ältere Menschen geben daher irgendwann auf.
„Wir haben bewusst eine Lösung geschaffen, die keine Technikkenntnisse erfordert“, sagt Theresa. Jeder, der ein Telefon bedienen kann, kann Silberdraht nutzen. Und das ist dringend nötig: Immer mehr wichtige Dienste – vom Arzttermin bis zur Anmeldung für Hilfsangebote – laufen inzwischen ausschließlich online.
Warum gibt es Silberdraht noch nicht in ganz Deutschland?
Obwohl das Projekt mehrfach ausgezeichnet wurde – unter anderem mit dem Impact of Diversity Award in der Kategorie Age Inclusion – gibt es bisher nur wenige Städte, die den Dienst anbieten. Der Grund: Es fehlt an finanzieller Unterstützung und politischem Willen.
„Alle reden von Digitalisierung, aber kaum jemand denkt an die Menschen, die abgehängt werden“, betont Theresa.
Silberdraht bietet genau diese Brücke – doch es braucht Städte, Unternehmen und politische Entscheidungsträger, die erkennen, dass nicht jeder Bürger digital erreichbar ist.
„Wir brauchen eine Schlüsselperson, die versteht, dass Digitalisierung nicht für alle sofort funktioniert. Es braucht Übergangslösungen für die nächsten 20 Jahre“, fasst Theresa zusammen.
Wie können Sie Silberdraht unterstützen?
Das Team von Silberdraht engagiert sich ehrenamtlich. Doch um den Service weiter auszubauen, braucht es Hilfe. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich einzubringen:
1. Städte und Kommunen können Silberdraht in ihre Angebote integrieren.
Die Kosten für die Einrichtung sind überschaubar: Silberdraht bereitet die Inhalte auf, optimiert sie für das Hörerlebnis und stellt die Technik zur Verfügung. Danach wird eine monatliche Servicegebühr fällig. Der Vorteil: Seniorinnen und Senioren können ohne technische Hürden auf lokale Informationen zugreifen.
2. Unternehmen können Silberdraht als Inklusionslösung unterstützen.
Viele Unternehmen setzen sich für digitale Teilhabe ein. Doch oft wird dabei nur an Websites und Apps gedacht. Silberdraht bietet eine einfache Ergänzung für all jene, die kein Smartphone oder Tablet nutzen können.
3. Politik und Verbände können sich für eine bundesweite Lösung einsetzen.
Es braucht Entscheidungsträger, die verstehen, dass nicht jeder Mensch digital erreichbar ist. Wer sich für barrierefreie Digitalisierung starkmacht, sollte Silberdraht unterstützen.
4. Private Spender und Förderer können helfen, das Projekt weiterzuentwickeln.
Aktuell finanziert sich Silberdraht aus Förderpreisen und Eigenmitteln. Wer helfen möchte, kann durch gezielte Spenden oder Sponsoring dazu beitragen, den Service auf weitere Städte auszuweiten.
Wie geht es mit Silberdraht weiter?
Das Silberdraht-Team hat große Pläne: „Wir arbeiten daran, Silberdraht mit KI zu verknüpfen“, erklärt Theresa. Die Idee: Ältere Menschen könnten in Zukunft über das Telefon Fragen zu Gesundheitsthemen oder anderen Anliegen direkt stellen – und eine sprachbasierte KI würde antworten.
Auch eine bundesweite Servicenummer ist in Planung. Doch dafür braucht es Unterstützung.
„Wir haben eine funktionierende Lösung und viele Preise gewonnen – jetzt braucht es nur noch Partner, die helfen, das bundesweit auszurollen“, fasst Susanne zusammen.
Mehr Infos und Kontaktmöglichkeiten gibt es auf der Webseite vom Silberdraht
Claudia Mattheis
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