Claudia und Siegbert Mattheis vor weißer Wand

Wer sind wir Boomer? 5/5 (4)

Wer sind wir „Boomer“, „Senioren“, „Seniorinnen“, Best Ager oder Silver Surfer? Eine Beschreibung aus der persönlichen Sicht eines Boomers (der sich selbst natürlich nicht so nennt 🙂 )

Wer sind die Boomer? Wie sind sie drauf?

Wir sind die geburtenstarken Jahrgänge von etwa 1955 bis 1965. Ab dem Jahr 2030 werden wir etwa 30 % der Bevölkerung ausmachen.

Nein, wir fühlen uns nicht als Senior:innen und wir wollen auch keine Seniorenteller! Ab 60 haben wir durchschnittlich noch 20, 30 oder vielleicht sogar noch 40 Jahre Leben vor uns! Und wir haben in den meisten Fällen auch mehr Geld als früher. Wir wollen keine extra für Senior.innen gebaute Geräte, aber wir haben keine Lust, Zeit zu vergeuden und uns mit mit ellenlangen, komplizierten Bedienungsanleitungen herumzuschlagen! Es sollte einfach nur generell alles nutzerfreundlicher gestaltet sein.

Claudia und Siegbert Mattheis vor weißer Wand
Wer sind wir Boomer? © Ana Correia Photography, Lisboa

Wir sind eine heterogene Gruppe

Aber ein großer Teil von uns war schon früh – etwa ab 1985 – mit Computern in der Arbeitswelt vertraut. Wir sind zwar keine digital Natives, aber sog. First Mover. Denn wir haben das Internet nicht nur genutzt, sondern sehr früh schon mitgestaltet. Wir kennen Google von Anfang an, wissen auch um die Problematiken, als alles noch in den Kinderschuhen steckte. Wir haben die Dotcom-Blase 2001 miterlebt, den Hype um Second World, den Absturz und späteren Aufschwung von Apple, die ersten iPods ausprobiert, Blackberry und das erste iPhone 2007 genutzt und komplette Shoppingplattformen gebaut. Viele von uns verfügen über 30 oder mehr Jahre Programmiererfahrung.

Google-Logo von 1998 © Wikipedia

Und überhaupt, Boomer haben Erfahrung

Wir haben die Erfahrung gemacht, wie schnell Hypes vergehen können und dass Krisen oder Kriege nicht ewig dauern. Wie wir schwere persönliche Krisen und Krankheiten überstehen, wie wir Liebeskummer irgendwann verkraften können oder auch wie wir mit dem Tod von geliebten Menschen umgehen – und weiterleben können. Oder müssen. Wie das Leben danach weitergeht, wie sich neue Begegnungen ergeben, ungeahnte Chancen auftun und eine möglicherweise andere, aber eine nicht minder schöne Lebensqualität enstehen kann.

Wir wissen, wie ungeheuer reich das Leben sein kann und wie vieles noch möglich ist. Selbst wenn man die 30, die 40, die 50 oder auch die 60 überschritten hat.

Wir wissen vor allem, was wir nicht mehr wollen oder brauchen. Man kann uns nichts mehr vormachen. Wir wissen, worauf es ankommt. Wir sind anspruchsvoll. Wir wollen auch (noch) nicht von jedem mit Du angesprochen werden. Bei IKEA (die damit etwa 2002 angefangen haben), geht das vielleicht in Ordnung, weil ja im Schwedischen schon lange kein Sie mehr üblich ist. Und natürlich unter Freunden oder guten Bekannten.

Boomer waren auch mal jünger 😉

Wir wissen aber auch, wie grenzenlos überzeugt (und selbstgerecht) wir in unseren Zwanzigern waren. Dass wir es besser wussten als die Älteren, wie wir die Welt verändern und verbessern müssten. Wie wütend wir auf die Generationen vor uns waren, die es nicht geschafft hatten, uns eine bessere Welt zu hinterlassen.

Jetzt, im Rückblick, erkennen wir aber ebenso, wie schrecklich naiv wir auch waren. Wie wenig wir von Menschen verstanden, wie sehr wir den Egoismus und Machtwillen Einzelner unterschätzt hatten. Oder warum viele zu Mitläufern werden können. Und zu welchen Gräueltaten Menschen auch heute noch fähig sind, trotz der Geschichte.

Braune Jutetragetasche mit Aufdruck "Jute statt Plastic"
Tragetasche von 1976 © Wikipedia

Wir haben etwas verändert

Einige von uns waren mutig genug, tatsächlich etwas in der Welt zum Besseren zu verändern. Wir haben gegen Atomkraft, gegen die Aufrüstung, gegen Waldsterben und Klimawandel gekämpft. Wir trugen Jute statt Plastik, wir haben die ersten Bioläden gegründet und uns für soziale Gerechtigkeit eingesetzt. Wir sind für Gleichberechtigung und gegen sexuelle Diskriminierung auf die Straße gegangen. Wir waren Punks und haben gegen unsinnige Regeln verstoßen.

Wir haben Armut gekannt, konnten jedoch durch soziale Programme wie dem BAföG trotzdem studieren und Chancen wahrnehmen. Ein großer Teil von uns hatte Unfreiheit in der DDR kennengelernt, aber auch eine echte Solidargemeinschaft. Nach der Wende aber genauso den Egoismus und das Unverständnis in der westlichen „Übernahme“ der neuen Länder, woraus vielfach eine starke Verbitterung und ein Gefühl der andauernden Ungerechtigkeit entstand.

Unsere Körper sind „gereift“ 😉

Und ja, unsere Gesichter haben mit der Zeit mehr Falten bekommen, als uns lieb ist. Und unsere Körper haben sich trotz Sport und Yoga nicht immer in die Richtung entwickelt, die wir uns gewünscht hätten. Ja, wir trauern unseren straffen Körpern und der glatten Haut unserer Jugend nach. Aber wünschen wir Boomer uns wirklich in die Zeit damals zurück? Mit all den Unsicherheiten, Zweifeln, der Suche nach dem oder der Richtigen fürs Leben, den zahlreichen, oft enttäuschenden One-Night-Stands? Nein!

Vielleicht nach dem berauschenden Gefühl des „ersten Mals“. Der erste Liebe, dem ersten Mal (erfüllenden) Sex. Oder das erste Mal in ein anderes Land reisen, das erste Mal Drogen probieren, das erste Mal …

Vielleicht sterben auch deswegen so viele oder nehmen sich das Leben im magischen Alter von 27 (Klub 27), weil alle ersten Male vorbei sind und nicht wiederholt werden können. Und die zweiten Male niemals so berauschend sind und sie der Meinung sind, dass danach nichts mehr käme.

Aber wir wissen, wie viel da noch kommt!

In unseren Herzen sind wir jung geblieben? Das schreiben viele, aber das klingt abgedroschen und stimmt so auch nicht.

Wir sind immer noch neugierig (aber nicht mehr auf alles), aufgeschlossen und begeisterungsfähig (aber nicht mehr für jeden neuesten Scheiß). Wir sind immer noch mutig (aber nicht mehr so blöd, unsere Fähigkeiten zu überschätzen) und stecken voller Ideen (wissen aber viel besser als früher, was funktionieren könnte und was nicht).

Wir können noch jede Menge Neues lernen, eine neue Sprache, Klavierspielen, eine Sportart oder vieles mehr. Neueste Studien bestätigen übrigens, dass der alte Spruch „was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ nicht stimmt. Denn wir lernen vielleicht etwas langsamer, das liegt aber meist eher daran, dass wir noch so viele andere Dinge zu tun haben, um die wir uns gleichzeitig kümmern müssen. Aber wir lernen besser und effektiver, weil wir inzwischen gelernt haben, zwischen Wichtigem und Unwichtigem zu unterscheiden.

Wir sind etwas konservativer

Und ja, vielleicht sind wir auch etwas konservativer geworden. Im Sinne von konservieren, behalten, was wir uns mühsam aufgebaut haben. Auch im Sinne von Wohlstand, aber nicht in erster Linie. Denn mehr brauchen wir wirklich nicht, als wir jetzt schon haben. Sondern im Sinne von Werten wie Solidarität, Rücksicht, Umweltschutz, Non-Egoismus oder soziale Gerechtigkeit.

Wir sind dennoch bereit, dazuzulernen. Bestimmte Worte wie Neger, Negerkuss, Mohrenkopf, Indianer oder dritte Welt (ja, ich schreibe sie hier bewusst so! Wenn ihr unwillkürlich und empört zurückzuckt, ist das eine gute Reaktion), haben wir in unserer Kindheit und Jugend selbstverständlich benutzt, ohne uns über den Zusammenhang klar zu sein. Die sind einfach in unseren Wortschatz mit eingeflossen. Heute sehen wir das anders und erkennen die Zusammenhänge und die Verletzungen, die sie mit sich bringen, weitaus klarer. Und das Umlernen ist machmal mühsam und auch lästig. Auch das Gendern fällt uns nicht so leicht wie den Jüngeren, die damit bereits aufwachsen. Aber ich sehe das ähnlich wie das Maskentragen während der Pandemie, es ist lästig und nervt, aber ungemein wichtig. Und richtig!

Denn schon z. B. beim Wort Ärzt:innenkongress entsteht ein ganz anders Bild im Kopf als bei Ärztekongress. Und darum geht es.

Boomer sind vielleicht nicht mehr ganz so schnell

Okay, mag sein, dass wir nicht mehr ganz so schnell mit beiden Fingern in die „Tasten“ des Smartphones tippen oder nicht alle neuesten Wischgesten im Schlaf beherrschen. Oder auch sofort über alle neuesten Funktionen auf Instagram oder TikTok Bescheid wissen. Weil wir die Zeit für Wichtigeres nutzen wollen.

Überhaupt, Zeit. Wir haben inzwischen gelernt, dass sie endlich ist. Dass wir herrliche Sonnentage am Wochenende nicht mehr vor dem Computer oder wie früher vor dem Fernseher verbringen wollen. Oder kostbare Zeit verschwenden wollen, um irgendwelche Insta-Reels von Katzen anzusehen oder den Möchtegern-Stars bei ihrem langweiligen Alltag zu verfolgen.

Nein, wir wissen, wie weitaus inspirierender, wahrhafter und intensiver analoge Erfahrungen und Gespräche mit echten Menschen sind. Wir können jede Minute viel besser als früher genießen.

Denn unsere Gefühle altern nicht. Wir fühlen in manchen Situationen immer noch Unsicherheit, Stress, Ärger und wir können uns auch im hohen Alter noch (unsterblich 😉 verlieben, haben „Schmetterlinge im Bauch“, wie mir meine Mutter im Alter von 82 Jahren erzählte, als sie sich lange Jahre nach dem Tode meines Vaters in einen 95-jährigen Mann verliebte!

Und wir machen uns Gedanken darüber, wie wir in Zukunft wohnen und leben wollen. Denn irgendwann werden wir dann doch nicht mehr ganz so fit sein und auf Hilfe angewiesen sein.

In Japan feiern übrigens die Menschen den 60sten Geburtstag, weil sie ab diesem Alter als weise gelten.

Das ist übrigens kein von ChatGPT generierter Text, sondern eine persönliche Ansicht eines „Boomers“, Jahrgang 1959 😉

Siegbert Mattheis

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