Was sind barrierefreie Reiseziele? Wie plant der Verein Reisemaulwurf für pflegebedürftige Menschen und deren Angehörige kostenlos den Urlaub? Und wie kann diese ehrenamtliche Arbeit unterstützt werden?
Urlaub ist für viele Menschen die schönste Zeit im Jahr. Doch was, wenn Pflegebedarf besteht? Wenn man nicht einfach in den Zug steigen oder ins Auto springen kann? André Scholz sorgt mit seinem Verein Reisemaulwurf e.V. dafür, dass auch pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen Auszeiten erleben können. Er unterstützt sie mit kostenloser Planung, Herz und einem starken Netzwerk.
Warum wir André Scholz interviewt haben:
Weil er ein Pionier für barrierefreies Reisen ist!
André Scholz verbindet die Themen Pflege, Reisen und gesellschaftliches Engagement auf beeindruckende Weise. Als Diplom-Pflegewirt, erfahrener Pflegeberater bei einer großen Krankenkasse und Gründer des gemeinnützigen Vereins Reisemaulwurf e.V. unterstützt er ehrenamtlich und mit großer Leidenschaft vor allem ältere pflegebedürftige Menschen sowie deren Angehörige dabei, Auszeiten und Urlaube zu planen.
Die wichtigsten 3 Erkenntnisse aus dem Interview:
- Reisen mit Pflegebedarf ist möglich
„Jeder Mensch kann reisen“ – davon ist André Scholz überzeugt. Auch mit körperlichen oder kognitiven Einschränkungen lassen sich erholsame Auszeiten organisieren, wenn individuelle Bedürfnisse beachtet und realistisch geplant werden. - Gute Vorbereitung ist alles
Urlaub mit Pflegebedarf braucht Zeit, Information und passgenaue Beratung: „Es gibt keine pauschale Lösung.“ - Engagement macht den Unterschied
Reisen mit Pflegebedarf funktioniert nur durch Strukturen, Netzwerke und ehrenamtliches Engagement: „Es braucht die Bereitschaft, sich einzubringen.“
Wie die Beratung beim Reisemaulwurf funktioniert
„Ich habe immer wieder an den Wänden Bilder, in den Schrankwänden Mitbringsel von älteren Menschen, von Pflegebedürftigen gesehen.“ Die Erinnerung an vergangene Urlaube ist also stets präsent. Ebenso wie die Traurigkeit darüber, dass es scheinbar keine Perspektive für neue Reisen gab. André Scholz will das ändern.
Und weil jeder Mensch seine eigenen Reiseerfahrungen und Wünsche hat sagt er: „Es gibt keine pauschale Lösung.“
Deshalb setzt der Reisemaulwurf auf individuelle Beratung und klärt dabei Fragen wie: Was will ich denn eigentlich? Wo will ich hin? Wie weit kann ich reisen? Welche Wünsche habe ich, wenn es um die Pflege geht? Wann kann mich ein Pflegedienst unterstützen? Will ich eine Ferienwohnung, ein Hotel oder ein Pflegehotel? Was an Barrierefreiheit brauche ich genau? Was will ich denn vor Ort unternehmen? Was brauche ich an Hilfsmitteln? Wie komme ich überhaupt an den Urlaubsort?
Wer fragt den Reisemaulwurf an?
Die Anfragen, die André erreichen sind sehr unterschiedlich: „Da gibt es vielleicht eine Ehefrau in Berlin wohnt, die mit ihrem Mann, der die Diagnose Demenz hat, gerne an die Ostsee fahren würde. Es gibt vielleicht eine Tochter in Süddeutschland, die ihren Eltern noch mal eine Auszeit ermöglichen möchte. Es gibt Eltern mit pflegebedürftigen Kindern, die gerne mit Geschwisterkindern dort hinreisen wollen, wo die Versorgungssituation des pflegebedürftigen Kindes gesichert ist, aber wo auch die Geschwisterkinder und die Familien gemeinsame Zeit verbringen können.“
Kostet die Reiseberatung Geld? Nein!
Die Reiseberatung ist kostenlos und erfolgt über verschiedene Kanäle. André erklärt den Ablauf: „Es ruft jemand an. Wir telefonieren, wir schreiben. Es gibt auf unserer Webseite einen Reiter mit Reiseberatung. Da kann man schon sehr konkret seine Wünsche äußern, aber auch Bedarfe aufzeigen.“
Nach einem ausführlichen Beratungsgespräch erhalten Interessierte konkrete Vorschläge zu Anbietern, Angeboten sowie Kontaktdaten. So können alles in Ruhe vergleichen und sich mit den Reiseveranstaltern und Unterkünften in Verbindung setzen. Die Buchung erfolgt dann direkt über die Dienstleister. .
Finanzierung und Kostenübernahme
Ein wichtiger Punkt ist die Finanzierung. André stellt klar: „Im Zusammenhang von Urlaub kann ich Pflege und betreuungsbedingte Aufwendungen refinanzieren. Das heißt, wenn ich am Urlaubsort Unterstützung durch einen Pflegedienst in einem Pflegehotel oder von einem Dienstleister habe, kann diese Leistung refinanziert werden. Entweder über den Entlastungsbetrag, über die Sachleistung oder über die Verhinderungspflege. Aber das in den Urlaub fahren, im Urlaub sein, ist und bleibt Privatsache.“
Beliebte Reiseziele und Barrierefreiheit
Aufgrund seiner Beratungserfahrung sieht André klare Trends: „Wenn ich in Berlin zehn Menschen nach ihren Urlaubswünschen frage ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sechs, sieben, acht die Ostsee erwähnen. Wenn die Anfragen von weiter westlich kommen, dann ist es oft die Nordsee.“
André erklärt auch, warum bestimmte Ziele bevorzugt werden: „Es ist häufig so, dass der Wunsch nach möglichst wenig Barrieren am Urlaubsort formuliert wird. Und das bedeutet auch, dass Berge und Steigungen oft nicht in Frage kommen.“
Wie entwickelt sich die touristische Infrastruktur für barrierefreies Reisen?
Das Angebot für barrierefreien Tourismus wächst laut André, zumindest gilt dies für Deutschland: „Ich glaube, wir haben da tolle Entwicklung. Es gibt zum Beispiel die Plattform „Reisen für Alle“, wo immer mehr barrierefreie Reiseziele in ganz Deutschland aufgeführt werden.“
Und er betont die Bedeutung von Initiativen und Kooperationen: „Ich freue immer sehr, wenn es Kooperationen gibt zwischen Hotels, Ferienwohnungen, die barrierefrei sind, und regionalen Pflegediensten. Wir brauchen keine Zentren, keine einzelnen Häuser, keine einzelnen Hotels, wo sich vielleicht auch die Hilfe- und Pflegebedürftigkeit konzentriert. Sondern wir brauchen die Orte, die wir uns wünschen und die uns einfach eine Infrastruktur bieten, die unserem Bedarf gerecht wird.“
Die Arbeit des Reisemaulwurfs: Vier Säulen für mehr Teilhabe
André Scholz beschreibt die Arbeit seines Vereins in vier Bereichen:
- Individuelle Reiseberatung:
„Der Reisemaulwurf kann kontaktiert und zu konkreten Reisezielen, Reisewünschen befragt werden.“ - Tourismusentwicklung:
„Ich versuche, den Tourismus zu gewinnen, ihn einzuladen, weitere Angebote zu schaffen, über vorhandene Angebote zu reden.“ - Multiplikatorenarbeit:
„Ich suche Multiplikatoren, die unsere Arbeit unterstützen.“ - Öffentlichkeitsarbeit:
„Ich habe ganz viele Schulterklopfer bekommen für mein Engagement, aber es ist relativ wenig bekannt, dass wir Menschen mit Pflegebedarf das Reisen erleichtern.“
Wie kann die ehrenamtliche Arbeit vom Reisemaulwurf unterstützt werden?
Spenden, Kontakte und Fördermitglieder helfen
Der Verein Reisemaulwurf e.V. ist auf Unterstützung angewiesen. „Es braucht natürlich wie immer und überall Ressourcen, um zum Beispiel an dem Portal zu arbeiten.“
Neben finanzieller Unterstützung durch Spenden oder Fördermitgliedschaften sucht der Verein auch Kooperationspartner aus verschiedensten Bereichen, d.h. von Tourismusbetrieben, Sanitätshäusern bis zu Anbietern von Hilfsprodukten.
Engagement hat für André Scholz auch eine persönliche Bedeutung: „Was mich dazu bewegt, ist die Sinnhaftigkeit, etwas zu tun, was mir Spaß macht. Ich glaube, wir brauchen es, weil wir so viele Herausforderungen haben, die vielleicht vor Jahren vom Sozialstaat noch gut zu leisten waren.“
Vorträge zum Thema „Pflege“ buchen
Der Reisemaulwurf e.V. bietet weit mehr als nur Reiseberatung. André hält Vorträge für Unternehmen, Institutionen, Fachkräfte und Angehörige. Ein Honorar wird dafür nicht berechnet – aber mit einer Spende können Sie die Arbeit vom Reisemaulwurf direkt unterstützen!
Mögliche Themen sind z.B.:
- Pflege trifft Arbeitswelt: Vorträge für Unternehmen zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf, wie „Pflege kennt keine Arbeitszeit – was Unternehmen tun können“ oder „Sorgearbeit im Team: Wenn Mitarbeitende Angehörige pflegen“.
- Kraftquellen im Pflegealltag: Impulse für pflegende Angehörige zu Themen wie „Pflegen und Pause machen – wie geht das zusammen?“ oder „Urlaub mit Pflegebedarf: Möglichkeiten, Mut und Machbarkeit.“
- Pflege verstehen und gestalten: Grundlagenwissen zur Pflegeversicherung und Unterstützungsangebote, etwa „Plötzlich pflegend – was jetzt?“ oder „Pflegeberatung, die Mut macht: Orientierung statt Überforderung.“
Die Vorträge werden entsprechend der Zielgruppe und den Wünschen passgenau gestaltet – ansprechend, verständlich und nah am Leben.
Wie will ein Pflegeprofi in Zukunft leben?
André und seine Frau planen bereits konkret für das Alter: „Meine Frau und ich haben uns die letzte Zeit damit beschäftigt, wie wir im Alter leben wollen. Denn wir wohnen in der sechsten Etage ohne Fahrstuhl. Jetzt mit 60 fängt das Gedanken machen müssen an. Was ist, wenn die Mobilität nachlässt? Also tatsächlich das Thema Barrierefreiheit spielt für mich eine sehr große Rolle, ebenso wie Thema Gemeinschaft.“
Seine Vision verbindet verschiedene Lebensbereiche: „Im Ideal wollen wir in einer Gemeinschaft leben, vielleicht nicht im Zentrum, sondern nördlich von Berlin. Und gerne will ich auch etwas einbringen. Ich bin gelernter Koch von Beruf. Die Themen Ernährung, Lebensmittel, Natur spielen eine große Rolle für mich. Und ich will Generationen übergreifend wohnen. Denn ich habe vier erwachsene Kinder und fünf Enkelkinder.“
Warum Sie dieses Podcast-Interview hören sollten?
- Praktische Relevanz: Fast jeder wird früher oder später mit Pflegebedürftigkeit konfrontiert, sei es bei sich selbst oder Angehörigen.
- Lösungsorientierung: Das Interview zeigt konkrete Wege auf, wie Lebensqualität trotz Einschränkungen erhalten werden kann.
- Inspiration für Engagement: Andrés Geschichte motiviert dazu, selbst aktiv zu werden und gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen.
- Netzwerkpotenzial: Für Unternehmen und Privatpersonen ergeben sich konkrete Möglichkeiten zur Unterstützung vom Reisemaulwurf.
- Zukunftsperspektive: Angesichts des demografischen Wandels wird das barrierefreie Reisen als Thema für unsere Gesellschaft immer wichtiger.
Das Interview mit André Scholz macht deutlich: Reisen mit Pflegebedarf ist nicht nur möglich, sondern ein wichtiger Baustein für Lebensqualität und gesellschaftliche Teilhabe. Der Reisemaulwurf e.V. leistet hier Pionierarbeit, die Nachahmung verdient.
Weitere Informationen und Unterstützungsmöglichkeiten finden Sie unter:
Webseite Reisemaulwurf
LinkedIn: André Scholz
Plattform „Reisen für Alle“
Webseite Arbeitsgemeinschaft Barrierefreie Urlaubsziele
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Interview mit André Scholz: Reisen mit Pflegebedarf – Auszeit und Engagement möglich machen
Claudia Mattheis:
Hallo, herzlich willkommen in meinem LIVVING Podcast Studio, lieber André Scholz. Ich habe dich eingeladen, weil du die Themen Pflege, Reisen und gesellschaftliches Engagement auf beeindruckende Weise miteinander verbindest. Du bist Diplom-Pflegewirt, erfahrener Pflegeberater bei einer großen Krankenkasse und Gründer des gemeinnützigen Vereins Reisemaulwurf e.V.
Mit deinem Verein unterstützt du ehrenamtlich und mit viel Leidenschaft vor allem ältere, pflegebedürftige Menschen sowie deren Angehörige dabei, Auszeiten und Urlaube zu planen. Lass uns darüber sprechen, welche heilende Kraft das Reisen haben kann, warum ehrenamtliches Engagement so wichtig für unsere Gesellschaft ist und wie man deinen Verein Reisemaulwurf unterstützen kann. Hallo André.
André Scholz:
Hallo Claudia, ich freue mich, heute bei dir zu Gast zu sein.
Claudia Mattheis:
Lieber André, was bedeutet eigentlich der Name „Reisemaulwurf“ und wie kam es dazu?
André Scholz:
Der Name „Reisemaulwurf“ war der Versuch, einen einprägsamen Begriff zu finden. Reisen verbindet uns ja. Beim Maulwurf haben wir gleich ein Bild vor Augen – ein kleines Tier, das oft schlecht sehend durch die Gärten streift. Eigentlich mögen wir ihn, vielleicht manchmal auch nicht so sehr. Daraus entstand die Kombination: Reisemaulwurf. Graben, sichtbar sein, Angebote suchen – und das für Menschen mit Hilfe- und Pflegebedarf.
Claudia Mattheis:
Das ist auf jeden Fall ein sehr niedliches Bild, ein reisender Maulwurf. Du hast den Verein 2016 gegründet, wenn ich das richtig gesehen habe. Was war dein persönlicher Auslöser? Wie kommt man auf so eine Idee?
André Scholz:
Du hast ja schon gesagt, dass ich Pflegeberater von Beruf bin. Ich habe ursprünglich Altenpfleger gelernt, Pflege studiert, dann bei einer Krankenkasse als Pflegeberater angefangen. Bei Hausbesuchen habe ich immer wieder an den Wänden Bilder und Mitbringsel von älteren, pflegebedürftigen Menschen gesehen. Wenn ich dann gefragt habe, wie es aktuell mit Urlaub aussieht, kam oft die Antwort: „Das geht ja nicht mehr, wir sind früher viel gereist, aber jetzt kenne ich keine Angebote mehr.“ So ist seit 2012/2013 die Idee gewachsen, mich dem Thema mehr zu widmen. Wir haben in Deutschland ein gutes Versorgungssystem, aber Auszeiten und Urlaub kommen im Pflegealltag oft zu kurz.
Claudia Mattheis:
Und was genau macht ihr bei Reisemaulwurf? Ihr seid ja kein Reiseanbieter, sondern eine Plattform. Was tust du da konkret?
André Scholz:
Vielen Dank für die Frage. Das ist tatsächlich etwas komplex. Wir beschäftigen uns im Grunde mit vier Themenbereichen:
Erstens biete ich Reiseberatung an. Das heißt, man kann mich als Reisemaulwurf kontaktieren und sich zu konkreten Reisezielen und Wünschen beraten lassen.
Zweitens versuche ich, den Tourismus für das Thema zu gewinnen und zu motivieren, barrierefreie Reiseangebote zu schaffen oder bestehende zu ergänzen, beispielsweise durch Pflege oder Hilfsmittel vor Ort.
Drittens suche ich Multiplikatoren – also Menschen in der Beratung wie ich, die Impulse geben, wenn Überforderung oder der Wunsch nach Auszeiten im Raum stehen.
Und viertens betreibe ich Öffentlichkeitsarbeit. Das Thema ist nach wie vor wenig bekannt. Viele wissen gar nicht, dass es diese Möglichkeiten gibt. Sobald man darüber spricht, merkt man, wie relevant es ist. Schließlich planen wir alle jedes Jahr unseren Urlaub – aber für Menschen mit Pflegebedarf sieht die Realität oft anders aus.
Claudia Mattheis:
Du sagst, jeder Mensch kann reisen. Also: Reisen mit Pflegebedarf ist möglich – auch mit körperlichen Einschränkungen oder demenziellen Erkrankungen. Was braucht es dafür praktisch? Erzähl doch mal.
André Scholz:
Ich nehme mal ein paar typische Beratungssituationen: Es gibt beispielsweise eine Ehefrau in Berlin, die mit ihrem an Demenz erkrankten Mann an die Ostsee fahren möchte. Oder eine Tochter in Süddeutschland, die ihren Eltern noch eine Auszeit ermöglichen will. Es gibt auch Eltern mit pflegebedürftigen Kindern, die gemeinsam mit Geschwisterkindern verreisen möchten, sodass die Versorgung gesichert ist und die Familie gemeinsam Zeit verbringen kann.
Was es dafür braucht? Gute Informationen! Für mich als Berater, aber auch für die Anfragenden. Wichtig ist, die eigenen Wünsche klar zu benennen: Wo möchte ich hin? Wie weit kann ich reisen? Was muss vor Ort vorhanden sein?
Es gibt keine pauschale Lösung und keinen Katalog vom Reisemaulwurf, sondern immer individuelle Beratung. Wir besprechen: Wie komme ich zum Urlaubsort? Welche Unterkunft – Ferienwohnung, Hotel, Pflegehotel? Was brauche ich an Barrierefreiheit, an Unterstützung vor Ort? Welche Anbieter können diesen Wunsch erfüllen? So entsteht Stück für Stück das passende Angebot.
Claudia Mattheis:
Wie läuft die Beratung konkret ab? Ruf ich dich an? Gibt es ein Online-Meeting? Und kostet das etwas?
André Scholz:
Seit dem Start 2016 war mein Anspruch, das Angebot für Ratsuchende kostenfrei zu gestalten und möglichst kostenfrei zu halten. Ja, man kann mich anrufen, wir schreiben uns oder machen ein Online-Meeting. Neu auf der Webseite www.reisemaulwurf.de gibt es einen Bereich Reiseberatung, wo man sehr konkret Wünsche und Bedarfe schildern kann. Dann melde ich mich, und wir besprechen gemeinsam, was möglich ist. Nach diesem Austausch gibt es von mir fünf, sechs, sieben Vorschläge für Anbieter, inklusive Kontaktdaten. Die Interessenten setzen sich dann selbst mit den Anbietern in Verbindung.
Claudia Mattheis:
Du hast gerade gesagt, „in die Realität holen“. Was meinst du damit? Haben die Leute oft unrealistische Vorstellungen, was machbar ist?
André Scholz:
Manchmal ja, in beide Richtungen – zu optimistisch oder zu zurückhaltend. Viele kennen aus der Reha den Haustür-Service und denken, das gibt es für alles. Aber es gibt keine flächendeckende Struktur. Wenn man z.B. einen Krankentransport von Berlin an die Ostsee organisieren muss, sind das schnell vier Fahrten mit viel Aufwand und Zeit.
Auch beim Thema Pflegedienst vor Ort stoßen wir oft auf Grenzen: Kaum ein Pflegedienst kann verbindlich für den Zeitraum eines Urlaubs zusagen. In der Beratung besprechen wir, was tatsächlich machbar ist – auch bei höherem Pflegebedarf. Man muss gut planen: Wie sieht der Alltag am Urlaubsort aus? Welche Infrastruktur gibt es? Welche Hilfsmittel? Was ist im Notfall? Da braucht es viel Vorbereitung.
Claudia Mattheis:
Ist das eigentlich alles privat finanziert, oder gibt es Möglichkeiten, über Pflegekassen Zuschüsse zu bekommen?
André Scholz:
Als Pflegeberater werde ich oft auf das Thema Verhinderungspflege angesprochen – etwa, ob Urlaubspflege von der Pflegeversicherung finanziert wird. Das ist leider nicht so. Man kann aber pflege- und betreuungsbedingte Aufwendungen am Urlaubsort refinanzieren, z. B. über den Entlastungsbetrag, die Sachleistung oder Verhinderungspflege. Aber das Verreisen an sich ist und bleibt Privatsache.
Claudia Mattheis:
Gut, dass wir das geklärt haben. Du kennst viele Reiseziele und bist selbst oft unterwegs. Welche Orte eignen sich besonders gut für Menschen mit Pflegebedarf? Hast du Lieblingsorte?
André Scholz:
Aus eigener Erfahrung: Wir haben meine Schwiegereltern lange unterstützt, und für viele aus Berlin ist die Ostsee das Wunschziel. Im Westen Deutschlands eher die Nordsee. Viele bevorzugen Ziele mit möglichst wenig Barrieren, also eher flache Regionen als Berge. Die meisten bleiben in Deutschland, weil man hier vertraute Strukturen und im Notfall schnell Hilfe hat. Mein persönlicher Lieblingsort ist die Ostsee – wegen der Sinneseindrücke, der barrierefreien Strukturen und der guten Infrastruktur. Aber die Nordsee hat ebenfalls ihren Reiz, vor allem wegen der besonderen Atmosphäre bei Ebbe und Flut.
Claudia Mattheis:
Wie schätzt du die touristische Infrastruktur ein? Hat sich in Hotels, Pflege- und Ferienwohnungen in den letzten Jahren etwas verbessert?
André Scholz:
Ich sehe eine positive Entwicklung. Es gibt z. B. das System „Reisen für alle“ und die Arbeitsgemeinschaft Leichte Reisen, mit vielen Urlaubsregionen, die sich gezielt für Barrierefreiheit engagieren. Auch viele Kommunen reagieren auf die Bedürfnisse eines älter werdenden Publikums. Aber: Die eigene Erlebbarkeit ist entscheidend. Was für den einen als barrierefrei gilt, kann für den anderen eine Hürde sein – etwa eine kleine Stufe oder ein zu enger Sanitärbereich. Es lohnt sich, vorab gezielt nachzufragen. Insgesamt sind wir auf einem guten Weg, aber es gibt noch Potenzial, vor allem bei Kooperationen von Hoteliers mit regionalen Pflegediensten und Anbietern von Hilfsmitteln.
Claudia Mattheis:
Das heißt, Menschen mit Pflegebedarf machen im Grunde Urlaub mit anderen Gästen ohne Einschränkungen. Wie erleben das die anderen Reisenden? Gibt es da Berührungsängste?
André Scholz:
Man muss sich vor Augen führen: In Deutschland gibt es rund sechs Millionen Pflegebedürftige, dazu viele ältere Menschen und Kinder mit Einschränkungen. Das Thema betrifft uns alle. Trotzdem kommt es vor, dass Menschen überrascht sind, wenn z. B. jemand mit Rollstuhl oder Demenz im Hotel ist. Auch Hoteliers berichten davon. Wichtig ist, dass wir uns immer fragen: Wie wäre es, wenn wir selbst oder unsere Angehörigen betroffen wären? Dann würden wir uns Verständnis wünschen. Urlaub für alle sollte selbstverständlich sein.
Claudia Mattheis:
Gibt es aus deiner Sicht unverzichtbare Hilfsmittel für einen gelungenen Urlaub mit Pflegebedarf? Oder ist das immer individuell?
André Scholz:
Das ist sehr individuell. Viele wissen genau, was sie brauchen: Duschhocker, Haltegriffe, E-Rollstuhl, Patientenlifter, höhenverstellbare Betten. Die Nachfrage nach E-Rollstühlen im Urlaub wächst. Es ist hilfreich, wenn Hotels oder Ferienwohnungen solche Dinge bereitstellen oder mit Sanitätsfachgeschäften zusammenarbeiten, um Hilfsmittel auszuleihen. Entscheidend ist, dass die Infrastruktur auf den Bedarf vorbereitet ist und das Thema Auszeiterholung für alle möglich wird.
Claudia Mattheis:
Du hast mehrfach Netzwerkstrukturen angesprochen, also das Zusammenspiel von Pflegediensten, Sanitätshäusern, Verleihern usw. Gibt es solche Netzwerke schon oder ist das noch Zukunftsmusik?
André Scholz:
Netzwerke sind das A und O, beruflich wie privat. Für den Reisemaulwurf war es von Anfang an die Idee, ein Netzwerk zu schaffen – kein Vertriebssystem, sondern eine Plattform. Auf unserer Seite findet man Reiseziele, Pflegehotels, Hilfsmittelanbieter und Beratungsstrukturen. Jeder, der möchte, kann Teil dieses Netzwerks werden und so das Reisen für alle ermöglichen.
Claudia Mattheis:
Man kann bei euch Fördermitglied werden oder euch anderweitig unterstützen, zum Beispiel als Kooperationspartner oder mit Spenden. Wie kann man euch konkret helfen?
André Scholz:
Wir brauchen Ressourcen, etwa für die Pflege des Portals, für Öffentlichkeitsarbeit oder gemeinsame Kampagnen. Ein Beispiel: Kooperationen mit Anbietern von Inkontinenzmaterial oder Hilfsmitteln. Es gibt viele Möglichkeiten – von gezielten Produktkooperationen bis zu Pressearbeit oder Vorträgen in Unternehmen. Oft sind es Angehörige, die Reisen für ihre Eltern oder Pflegebedürftigen organisieren. Da ist Unterstützung sehr willkommen.
Claudia Mattheis:
Ihr bietet auch Vorträge an, etwa in Unternehmen oder Institutionen. Was sind die Themen, und wer kann euch buchen?
André Scholz:
Das Angebot ist aus der Zusammenarbeit mit Unterstützern des Reisemaulwurfs entstanden. Ich halte Vorträge zu verschiedenen Themen: Demenz, Pflegebegutachtung, Pflege auf Distanz oder Selbstfürsorge für pflegende Angehörige. Besonders relevant ist das Thema Vereinbarkeit von Pflege und Beruf – denn etwa zehn Prozent aller Arbeitnehmer in Deutschland sind betroffen. Unternehmen können uns buchen, und wir gehen gezielt auf deren Wünsche ein.
Claudia Mattheis:
Dein Engagement ist ehrenamtlich – und das kann man gar nicht genug betonen. Warum ist gerade ehrenamtliches Engagement im Pflegekontext so wichtig?
André Scholz:
Ich war viele Jahre ehrenamtlich aktiv und bin es größtenteils noch immer, auch wenn ich inzwischen durch eine Spende geringfügig beschäftigt bin. Für mich ist entscheidend, dass die Tätigkeit sinnhaft ist und mir Freude bereitet. Wir brauchen ehrenamtliches Engagement, weil der Sozialstaat vieles nicht mehr leisten kann, was früher möglich war. Ehrenamt verbindet die Gesellschaft und gibt jedem die Möglichkeit, sich in dem Bereich zu engagieren, der ihm am Herzen liegt – ob Natur, Migration, Behindertenarbeit oder Altenhilfe. An dieser Stelle auch ein Dank an alle Engagierten in Deutschland!
Claudia Mattheis:
Es müssten noch viel mehr werden, damit der gesellschaftliche Zusammenhalt erhalten bleibt. Kommen wir zu meiner letzten Frage, die ich immer allen stelle: Wie möchtest du in Zukunft leben? Was sind deine Pläne für die nächsten 10, 20, 50 Jahre?
André Scholz:
Meine Frau und ich haben uns gerade damit beschäftigt, dass wir in der sechsten Etage ohne Fahrstuhl wohnen. Jetzt, mit 60, macht man sich Gedanken: Was ist, wenn die Mobilität nachlässt? Barrierefreiheit wird für mich immer wichtiger, ebenso Gemeinschaft. Am liebsten würde ich in einer Gemeinschaft nördlich von Berlin leben, mit Raum für Natur, Ernährung, Familie. Ich habe vier erwachsene Kinder und fünf Enkelkinder – Gemeinschaft, Familie, Natur, das ist mir wichtig. Ganz konkret ist das Bild noch nicht, aber ich arbeite jeden Tag daran. Und natürlich möchte ich weiterhin reisen.
Claudia Mattheis:
Wenn du Inspiration brauchst, was alternative Wohnformen und gemeinschaftliches Wohnen angeht, empfehle ich dir LIVVING.de – da gibt es viele tolle Ideen 🙂 Ich danke dir sehr für das Gespräch und wünsche dir weiterhin viel Erfolg. Alles Weitere zum Reisemaulwurf verlinken wir in den Shownotes. Ich hoffe, dass unser Gespräch viele Unterstützer gewinnt und die Tourismusbranche sich weiterentwickelt.
André Scholz:
Vielen Dank, liebe Claudia. Vielen Dank an alle Zuhörerinnen und Zuhörer. Einen schönen Tag!
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