Wie trotz unheilbarer Krankheit Leben und Arbeiten möglich sind. Warum Aufgeben keine Option ist. Und welche Unterstützung Erkrankte wirklich brauchen.
Jo Failer ist gelernter TV-Journalist, war Reporter und Filmemacher bei Sat.1, hat eine Doku mit Robbie Williams in LA gedreht und Content für Heidi Klum produziert. Heute arbeitet er als Künstlervermittler aus Leidenschaft. Und er engagiert sich aktiv in der Alzheimer Gesellschaft – aus ganz persönlichen Motiven.
Und das ist auch der Grund, warum wir ihn zum Gespräch eingeladen haben. Denn es gibt wohl keinen anderen, der so profund über Demenzerkrankungen sprechen kann wie er. Ein kurzer Blick auf die Zahlen: Aktuell leben in Deutschland rund 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenz, Tendenz steigend.
Jo kennt die Herausforderungen von Alzheimer und Demenz aus gleich zwei Perspektiven. Er hat seine an Alzheimer erkrankte Mutter bis zu ihrem Tod begleitet – eine Zeit, die ihn stark geprägt hat. Doch die Krankheit wurde auch Teil seiner eigenen Geschichte: Mit nur 52 Jahren hat er letztes Jahr selbst die Diagnose Frühdemenz erhalten. Statt sich zurückzuziehen, spricht er heute offen über seine Erfahrungen, klärt auf und motiviert andere mit mehr Verständnis und Mut an dieses Thema heranzugehen.
Sein Wunsch ist „nicht zu verstummen, sondern laut zu sein“. Dieses Gespräch berührt und ermutigt zugleich.
„Endlich weiß ich, was mit mir los ist.“
Diagnose Frühdemenz: Warum eine klare Antwort manchmal entlastet
Die Diagnose Frühdemenz war für Jo kein Schock, sondern fast schon eine Erleichterung.
„Mein erstes Gefühl war: endlich! Endlich habe ich eine griffige Diagnose. Vorher war alles so schwammig. Depressionen, Klinikaufenthalte, Antidepressiva, aber niemand konnte wirklich sagen, was es ist.“
Er hatte lange gespürt, dass etwas nicht stimmt: „Ich bin langsamer geworden. Körperlich, geistig. Ich konnte mir Dinge nicht mehr merken, hatte starke Wortfindungsstörungen.“
Dass die Depression der Beginn seiner Demenz war, bestätigen ihm heute auch die Ärzte. „Das kommt oft vor. Depression und Demenz liegen näher beieinander, als viele denken.“
„Frühdemenz bedeutet: nicht irgendwann, sondern jetzt.“
Der Unterschied zwischen Altersdemenz und einer frühen Alzheimer-Diagnose
Jo erklärt den Unterschied zwischen Alters- und Frühdemenz sehr eindrücklich: „Altersdemenz beginnt meist ab 70. Wenn jemand wie ich mit 52 die Diagnose bekommt, dann ist das einfach: zu früh. Und dann ist es keine Frage der Zukunft, sondern der Gegenwart.“
Er will aufklären, denn oft wird Frühdemenz verharmlost. „Ein Kumpel sagte mal: ‚Warte mal 20 Jahre, dann erkennst du mich nicht mehr.‘ Da hab ich gesagt: In 20 Jahren bin ich nicht mehr da. Frühdemenz ist jetzt.“
„Ich vergesse nicht nur, ich weiß manchmal einfach nicht mehr.“
Was Demenz im Alltag wirklich bedeutet jenseits von Vergesslichkeit
Was genau verändert sich im Alltag mit Demenz? Jo erzählt es auf seine ganz eigene, anschauliche Weise.
„Ein Freund sagte zu mir: ‚Ich geh abends an den Kühlschrank und weiß nicht mehr, was ich holen wollte.‘ Ich hab gesagt: ‚Ich auch, nur finde ich dann meinen Geldbeutel darin. Und ich weiß nicht, warum er da ist.‘“
Es ist dieser fundamentale Unterschied, den er betont: „Es geht nicht nur ums Vergessen, es geht ums Nicht-mehr-Wissen. Das ist Demenz.“
Auch sein Berufsalltag hat sich verändert: „Ich mache mir Notizen, Post-its, Zettel. Aber dann lese ich sie und weiß nicht mehr, was ich mir damit sagen wollte.“
„Ich habe keine Angst mehr.“
Wie Jo Failer durch Demenz eine neue Form der Gelassenheit fand
Trotz der Diagnose wirkt Jo erstaunlich gefasst. Warum?
„Weil ich nicht mehr so weit denke. Mein Kopf ist morgens leer. Kein Druck mehr, keine Liste im Kopf. Das war früher anders, in der Agentur, beim Fernsehen, immer höher, schneller, weiter. Heute bin ich ruhig. Und das fühlt sich gut an.“
Was nach Rückzug klingt, ist bei ihm eher ein bewusster Perspektivwechsel.
„Ich genieße den Moment, nicht weil ich’s mir vorgenommen habe, sondern weil es einfach so ist. Ich bin im Jetzt. Und das ist ein Geschenk.“
„Ich will nicht allein sein, sondern dazugehören.“
Warum gemeinschaftliches Wohnen für Menschen mit Demenz so wichtig ist
Jo lebt in München, ist geschieden, seine Kinder sieht er regelmäßig. Doch der Alltag ist oft einsam.
„Ich wünsche mir, in einer Gemeinschaft zu leben, vielleicht in einer Demenz-WG oder einem Mehrgenerationenhaus. Hauptsache nicht allein. Pflegeheim? Nein, das ist für mich keine Option.“
Er arbeitet weiterhin als Künstlervermittler bei der Bundesagentur für Arbeit – auch, weil ihm die Struktur hilft. „Ich zwinge mich, zur Arbeit zu gehen. Und mein Arbeitgeber unterstützt mich sehr. Die sagen: Behalte deinen Charme, wir tun alles, dass es so lange wie möglich geht.“
Was es braucht, um Menschen mit Demenz im Berufsleben zu halten?
„Verständnis. Geduld. Und dass man uns unsere Stärken lässt. Ich telefoniere gern, bin kreativ, das funktioniert noch gut. Aber beim Eintragen in Systeme brauche ich Unterstützung.“
„Warum bin ich mutig? Weil ich nichts mehr verbergen will.“
Jo Failers Weg in die Öffentlichkeit und warum Aufklärung so wichtig ist
Jo spricht öffentlich über seine Krankheit – auf Social Media, in Interviews, in der Alzheimer Gesellschaft.
„Ich bin allein, ich könnte mich zurückziehen, schweigen. Aber ich war immer Journalist. Und ich glaube, ich kann etwas beitragen. Ich will aufklären, für Verständnis sorgen. Das ist mein Weg.“
Seine Offenheit verändert die Wahrnehmung: „Viele denken, mit einer Demenz-Diagnose ist das Leben vorbei. Aber das stimmt nicht. Es ist anders, langsamer, strukturierter, vielleicht stiller. Aber es ist noch da. Und oft sogar klarer.“
Warum Sie dieses Podcast-Interview hören sollten?
Weil Jo Failer mit Klarheit und Herz über ein Thema spricht, das oft verschwiegen wird und dabei Mut macht, sich dem Leben mit all seinen Wendungen zu stellen.
Noch mehr Infos gibt es hier:
Deutsche Alzheimer Gesellschaft e. V.
Alzheimer Gesellschaft München e. V.
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Interview mit Jo Failer:
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