Andrea hat mit über 60 Jahren einen großen Schritt gewagt: Nach 30 Jahren Ehe entschied sie sich, vom Land in die Stadt zu ziehen und eine Senioren-Wohngemeinschaft mit einer fast fremden Person zu gründen.
Ihre Geschichte zeigt, dass es jederzeit möglich ist, neue Wege zu gehen und das eigene Leben neu zu gestalten. Aus ihren Erfahrungen lassen sich wertvolle Tipps für all jene ableiten, die eine ähnliche Veränderung in Betracht ziehen.
- Wählen Sie Ihre Mitbewohner sorgfältig aus: Suchen Sie jemanden mit ähnlichen Grundwerten, aber nicht unbedingt eine enge Freundin. So können Sie neue Perspektiven gewinnen, ohne bestehende Freundschaften zu belasten.
- Klären Sie finanzielle und organisatorische Fragen im Vorfeld: Eine offene Kommunikation über Kosten, Haushaltsaufgaben und persönliche Bedürfnisse hilft, spätere Konflikte zu vermeiden.
- Bleiben Sie offen für Veränderungen und neue Erfahrungen: Eine Wohngemeinschaft im Alter bietet die Chance, aktiv zu bleiben, sich gegenseitig zu inspirieren und gemeinsam einen neuen Lebensabschnitt zu gestalten.
In diesem Interview mit mir – Claudia Mattheis LIVVING Chefredakteurin – teilt Andrea ihre persönlichen Erfahrungen und gibt Einblicke in die Herausforderungen und Vorteile des gemeinschaftlichen Wohnens im Alter.
Der Weg in die Wohngemeinschaft
Claudia Mattheis: Andrea, Sie haben sich mit über 60 Jahren nach 30 Jahren Ehe von Ihrem Mann getrennt und leben jetzt in einer Wohngemeinschaft. Wie kam es dazu?
Andrea Krause: Nach 30 Jahren in Niedersachsen in einem schönen, aber sehr ländlichen Haus, hatte ich schon länger die Idee, in die Stadt zu ziehen. Vor etwa fünf Jahren habe ich diesen Plan dann umgesetzt. Es war keine leichte Entscheidung, da mein Mann sehr gerne weiter auf dem Land leben wollte. Die Trennung verlief aber weitgehend einvernehmlich. Zunächst zog ich in eine eigene Wohnung, aber schon am dritten Tag wurde mir klar, dass ich wieder in einer Gemeinschaft leben möchte.
Die Suche nach der passenden Mitbewohnerin
Claudia: Wie haben Sie Ihre jetzige Mitbewohnerin kennengelernt?
Andrea: Das war ein glücklicher Zufall. Bei einer Weiterbildung traf ich eine Frau, mit der ich mich auf Anhieb gut verstand. Wir haben zunächst lose darüber gesprochen, gemeinsam zu wohnen. Nach der Weiterbildung haben wir uns wieder getroffen, um konkrete Pläne zu machen. Wir haben dann über verschiedene Portale und sogar mit Postkarten nach einer passenden Wohnung gesucht. Mit viel Glück und der Unterstützung von Bekannten, die bei einer Genossenschaft ein gutes Wort für uns einlegten, fanden wir schließlich unsere jetzige Wohnung.
Das Zusammenleben im Alltag
Claudia: Wie sieht Ihr Zusammenleben konkret aus?
Andrea: Wir wohnen seit anderthalb Jahren in einer 100 Quadratmeter großen Vierzimmerwohnung. Jede von uns hat ein eigenes Zimmer, dazu haben wir ein gemeinsames Wohn- und Esszimmer. Ich bin 65 Jahre alt und noch 30 Stunden im sozialen Bereich erwerbstätig. Meine Mitbewohnerin Gundi ist 64 und seit kurzem in Erwerbsminderungsrente.
Wir teilen uns die Haushaltskosten, wobei Gundi aufgrund ihrer finanziellen Situation etwas mehr im Haushalt übernimmt. Wir stimmen vieles ab, kochen oft zusammen, haben aber auch unsere eigenen Freundeskreise und Aktivitäten. Es gibt keine festen Vereinbarungen, aber wir sehen uns in der Regel spätestens am Abend und versuchen, gemeinsam zu kochen oder eine Mahlzeit einzunehmen.
Die Vorteile des gemeinschaftlichen Wohnens
Claudia: Was schätzen Sie besonders an dieser Wohnform?
Andrea: Wir wollten beide nicht alleine leben, sondern ein Gegenüber und Korrektiv haben. Es ist schön, jemanden zum Austausch zu haben, aber auch die eigene Unabhängigkeit zu bewahren. Wir profitieren von unseren unterschiedlichen Freundeskreisen und inspirieren uns gegenseitig.
Uns ist es wichtig, nicht in unserer eigenen Blase zu leben, sondern durch das Zusammenleben immer wieder Impulse zu bekommen und an unseren Grenzen zu arbeiten. Wir haben ähnliche Interessen, zum Beispiel in Umweltfragen, und sind beide Vegetarierinnen, was das Zusammenleben erleichtert.
Herausforderungen und Lösungen
Claudia: Gab es auch Herausforderungen?
Andrea: Die größte Herausforderung war zunächst, eine passende Wohnung zu finden. Im Alltag gibt es bisher kaum Konflikte. Eine kleine Herausforderung ist, dass Gundi einige Lebensmittelunverträglichkeiten hat, was das gemeinsame Kochen manchmal etwas komplizierter macht.
Wir müssen uns bei Besuchen und Übernachtungsgästen noch etwas besser abstimmen. Da sind wir noch nicht so geübt und müssen noch mehr Selbstverständlichkeit entwickeln. Auch die ungleiche finanzielle Situation ist manchmal ein Thema. Insgesamt läuft es aber sehr harmonisch.
Uns ist es wichtig, nicht in unserer eigenen Blase zu leben, sondern durch das Zusammenleben immer wieder Impulse zu bekommen und an unseren Grenzen zu arbeiten. Wir haben ähnliche Interessen, zum Beispiel in Umweltfragen, und sind beide Vegetarierinnen, was das Zusammenleben erleichtert.
Reaktionen aus dem Umfeld
Claudia: Wie haben Freunde und Familie auf Ihren Entschluss reagiert?
Andrea: Die meisten, besonders Frauen in unserem Alter, haben es bewundert. Viele sagten, sie würden das auch gerne machen, hätten aber Angst vor Einschränkungen oder fehlender Toleranz. Sie bewunderten, wie konsequent wir diesen Schritt gegangen sind.
Empfehlung und Tipps
Claudia: Würden Sie diese Wohnform weiterempfehlen?
Andrea: Ja, auf jeden Fall. Es ist eine tolle Möglichkeit, im Alter nicht zu vereinsamen und aktiv zu bleiben. Man sollte aber genau überlegen, mit wem man zusammenzieht. Wir haben bewusst keine enge Freundin gewählt, um bestehende Freundschaften nicht zu belasten. Wichtig sind ähnliche Grundwerte und die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen.
Ich würde sagen, wir haben ein gutes Fundament für unsere Wohngemeinschaft geschaffen. Wir sind mittlerweile befreundet, haben aber nicht diese lange gemeinsame Lebensgeschichte wie mit früheren Partnern oder langjährigen Freunden.
Blick in die Zukunft
Claudia: Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus?
Andrea: Im Herbst gehe ich in Rente. Wir sind beide gespannt, wie sich unser Zusammenleben dann entwickeln wird. Wir möchten weiterhin aktiv bleiben, vielleicht ehrenamtlich tätig werden. Die Wohngemeinschaft sehen wir als Chance, uns gegenseitig zu inspirieren und gemeinsam diesen neuen Lebensabschnitt zu gestalten.
Es gibt noch einige Unsicherheiten, zum Beispiel plant die Genossenschaft eine energetische Sanierung des Hauses. Wir wissen nicht genau, was das für uns bedeuten wird. Aber wir nehmen die Herausforderungen an und freuen uns auf die gemeinsame Zeit.
Claudia: Vielen Dank für das interessante und ausführliche Gespräch, liebe Andrea!
Andrea: Gerne! Ich hoffe, unsere Erfahrungen können anderen Mut machen, im Alter neue Wege zu gehen und gemeinschaftliche Wohnformen auszuprobieren.
Hinweis. Der Name meiner Interviewpartnerin und Ihrer Mitbewohnerin wurden geändert, da beide anonym bleiben wollen.
Claudia Mattheis