Im Interview erzählt Andreas Wolff, warum er sich ehrenamtlich in der Wohnberatung Esslingen engagiert und weshalb wir alle früher über das Wohnen im Alter nachdenken sollten.
Was kann ich tun, damit ich auch im hohen Alter noch sicher und selbstständig in meinen eigenen vier Wänden leben kann? Diese Frage stellen sich viele Menschen oft zu spät. Genau hier setzt die Wohnberatung in Esslingen an.
Ehrenamtlich engagiert sich Andreas Wolff, Jahrgang 1957, für Ratsuchende in der Region. Im Interview mit LIVVING spricht er über seine Beweggründe, typische Beratungsfälle und warum der richtige Zeitpunkt für eine Wohnberatung nicht erst mit 80 beginnt.
Warum Andreas Wolff ehrenamtlich Wohnberatung für ältere Menschen macht
Vom Messebau zum Möglichmacher
„Ich wollte sehen, welche Möglichkeiten es gibt, für andere, aber auch für mich selbst“, sagt Andreas Wolff. Als Selbstständiger im Messe- und Produktdesign hat er sich schon vor dem Ruhestand gefragt, wie er seine Expertise sinnvoll einsetzen kann. „Ich habe die Esslinger Zeitung gelesen und sah den Aufruf zur Wohnberatung. Die Stadt suchte Ehrenamtliche, ich habe mich gemeldet.“
Seine Motivation kommt aus der Überzeugung, selbst Verantwortung fürs Alter zu übernehmen. „In zehn Jahren bin ich vielleicht auch der Ratsuchende. Ich möchte vorbereitet sein.“
Hilfe zur Selbsthilfe und ein Blick in die eigene Zukunft
Wolff möchte Prozesse begleiten, von der Analyse bis zur Lösung. „Ich begleite gern einen ganzen Prozess, vom ersten Gespräch bis zur Umsetzung. Und ich möchte wissen: Was hat das Ganze gebracht?“ Der Wunsch, Menschen zu unterstützen, paart sich mit einem klaren Blick auf das Machbare. „Pflegen könnte ich nicht. Das würde mir zu sehr an die Nieren gehen. Aber ich kann dafür sorgen, dass jemand erst gar keine Pflege braucht oder diese erst später benötigt.“
Was genau macht die Wohnberatung in Esslingen?
Unterstützung bei Umbauten und Hilfsmitteln
Die Wohnberatung unterstützt Menschen, die in ihrer Wohnung bleiben wollen, trotz Einschränkungen. Wolff beschreibt typische Maßnahmen: „Teppiche entfernen, Treppen absichern, Badezimmer anpassen z. B. mit einer bodengleichen Dusche. Manchmal reicht ein einfacher Duschaufsatz oder eine Einstiegshilfe.“ Auch kleine Helfer wie Flaschenöffner für Arthrose-Hände oder verbreiterte Türgriffe werden empfohlen.
Ein eindrückliches Beispiel: „Eine Frau mit Arthrose in den Fingergelenken wollte eine Sektflasche öffnen, aber ihre Hand tat weh. Da hilft ein Nussknacker oder eben ein spezieller Aufsatz. Mit diesen kleinen Helfern bleibt man selbstständig, das ist wichtig.“
Ausbildung mit Tiefgang
Die Ausbildung zur ehrenamtlichen Wohnberaterin oder zum Wohnberater ist umfassend. „Zehn Wochenenden, zehn Module, von DIN-Normen über Demenz bis Kommunikation. Besonders eindrucksvoll war die Besichtigung Werkstattwohnung mit allen möglichen Hilfsmitteln.“
Wolff hebt hervor: „Ich habe gelernt, dass Einschränkungen nicht das Ende bedeuten.“
Warum Wohnberatung oft zu spät kommt
Verdrängung, Unwissen, Stolz
„Viele verdrängen das Thema. Erst wenn es gar nicht mehr anders geht, rufen sie an, meist die Tochter oder der Sohn. Dabei wäre Prophylaxe so wichtig.“ Die Beratungen sind anonym und diskret, trotzdem haben viele Menschen Hemmungen. „Es fehlt das Bewusstsein, dass man mit kleinen Änderungen große Unfälle verhindern kann.“
Ein Rechenbeispiel, das überzeugt
„Ein Badumbau kostet vielleicht einmalig 10.000 Euro – ein Pflegeheimplatz aber 6.000 Euro im Monat. Wenn ich mit dem Umbau einen Heimaufenthalt um zwei Monate verschieben kann, habe ich das schon raus“, sagt Wolff. Das trifft bei vielen einen Nerv, nicht nur bei den sparsamen Schwaben in Esslingen.
Typische Beratungssituationen und wie geholfen wird
Von der Prophylaxe bis zur WG-Idee
„Ein Mann mit neuer Lebensgefährtin und frisch operiertem Knie, da sind wir ins Haus gekommen, haben uns alles angeschaut und Empfehlungen gegeben. Er war dankbar, aber auch überrascht, was alles möglich ist.“
Auch ungewöhnlichere Fälle gibt es: „Eine Witwe wollte nicht mehr allein wohnen. Sie überlegte, eine WG zu gründen. Wir haben die Möglichkeiten im Haus ausgelotet, auch wenn ihre Tochter zuerst dagegen war.“
Was möglich ist und was nicht
„Wir dürfen keine Handwerker empfehlen, aus Wettbewerbsgründen. Aber wir geben Hinweise, was technisch geht. Auch Fördermittel über die KfW sind oft ein Thema. Und wir bleiben dran: Nach einem halben Jahr fragen wir nach, ob etwas umgesetzt wurde.“
Was sich ändern müsste, damit die Wohnberatung bekannter wird
Bessere Vernetzung und mehr Sichtbarkeit
„Viele wissen nicht mal, dass es uns gibt“, bedauert Wolff. „Dabei ist die Nachfrage groß. Die Stadt müsste viel mehr informieren. Wir als Wohnberatung sind eher ein Satellit, sichtbar, aber nicht zentral.“
Sein Vorschlag: bessere Zusammenarbeit mit Sozialdiensten, Pflegediensten, Caritas. „Die sind vor Ort, sie sehen die Wohnungen. Wenn sie uns empfehlen würden, könnten wir viel mehr Menschen erreichen.“
Was jeder Einzelne tun kann und warum es nie zu früh ist, an das Leben im Alter zu denken
Ab 65 über Umbauten nachdenken
„Mit 65 sollte man sich Gedanken machen: Was wäre, wenn ich morgen einen Bandscheibenvorfall habe? Oder Parkinson bekomme? Dann ist es besser, ich habe vorgesorgt.“
Andreas Wolff hat auch selbst mitgedacht. „Wir haben vor 16 Jahren barrierearm gebaut, breite Flure, zwei Ebenen, Garagenzugang. Das war vorausschauend, nicht nur wegen des Alters, sondern wegen eines früheren Fahrradsturzes.“
Altwerden ist keine Katastrophe
„Altwerden ist wie eine neue Einschulung. Altwerden sollte man lernen, es ist ein Prozess, auf den muss man sich vorbereiten, emotional und praktisch.“ Wolff sieht das positiv: „Wir in Deutschland haben eine gute Infrastruktur. Ich möchte nicht ins Ausland ziehen, mir ist wichtig, dass ich Arzt, Apotheke und Unterstützung in Reichweite habe.“
Mehr Infos zur Wohnberatung in Esslingen: Zur Webseite der Wohnberatung Esslingen
Kontakt Andreas Wolff: andreas@wolff-stuttgart.de
Text: Claudia Mattheis, Chefredakteurin LIVVING.de
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