Jung und Alt unter einem Dach? Zusammen leben, sich gegenseitig unterstützen und gleichzeitig selbstbestimmt bleiben – klingt ideal, oder? Doch wie funktioniert das in der Praxis? Was sind die Chancen und Risiken von gemeinschaftlichen Wohnprojekten?
Wie wollen wir im Alter wohnen?
Ich bin Claudia Mattheis, Chefredakteurin von LIVVING.de, und stelle mir wie viele Babyboomer die Frage, wie ich in Zukunft leben möchte. Klassisches Wohnen mit der Familie? Mit Freunden in einer WG? Oder gibt es noch eine andere Möglichkeit? Genau deshalb habe ich mich mit Malte Schröder, Geschäftsführer von URBANSKY ARCHITEKTEN, unterhalten. Er lebt selbst in einem Mehrgenerationenwohnprojekt und plant als Architekt genau diese Form des gemeinschaftlichen Wohnens. Ich wollte von ihm wissen: Wie funktioniert das in der Praxis? Welche Herausforderungen gibt es? Und wäre das auch eine Wohnform für mich – und für viele andere, die sich Gedanken über ihre Zukunft machen?
Das Wichtigste auf einen Blick
✔ Mehrgenerationenhäuser verbinden die Vorteile aller Generationen – Ältere profitieren von der Dynamik der Jüngeren, während die Jüngeren auf ein stabiles soziales Umfeld zurückgreifen können.
✔ Gemeinschaftliches Bauen ist oft günstiger als klassischer Wohnungsbau, weil Baugruppen keine Gewinne erzielen müssen.
✔ Die Architektur wird flexibel geplant, damit sich Wohnungen im Laufe des Lebens an veränderte Bedürfnisse anpassen können.
✔ Soziale Kompetenz ist entscheidend – Wer hier lebt, sollte Lust auf Gemeinschaft haben und auch bereit sein, Kompromisse einzugehen.
✔ Barrierefreiheit und smarte Technologien sind zentrale Bestandteile dieser Wohnform, um langfristige Unabhängigkeit zu ermöglichen.
Warum lebt Malte Schröder selbst in einem Mehrgenerationenhaus?
Bevor Malte Schröder begann, diese Wohnform professionell zu planen, ist er eher zufällig dazu gekommen.
„Ich war auf der Suche nach einer Wohnung, als eine Freundin mich auf ein Baugruppenprojekt aufmerksam machte. Es war eine alte Schule, die wir mit einer Gruppe umgebaut haben – und heute ist es mein Zuhause. Ohne diesen Zufall hätte ich mich vielleicht nie so intensiv mit diesem Thema beschäftigt.“
Aus dieser Erfahrung ist seine heutige Arbeit entstanden. Mit seinem Büro URBANSKY ARCHITEKTEN hat Malte Schröder mittlerweile über 15 Baugruppenprojekte in Berlin realisiert oder befindet sich mitten in der Umsetzung neuer Projekte.
Was unterscheidet das Mehrgenerationenwohnen von einem normalen Mehrfamilienhaus?
„Der entscheidende Unterschied ist, dass die Altersmischung hier bewusst gewählt wird. Während in normalen Wohnhäusern Generationen oft eher zufällig nebeneinander wohnen, nutzen wir hier gezielt die Vorteile, die jede Altersgruppe mitbringt. Jüngere helfen Älteren bei alltäglichen Dingen, Ältere können Familien mit Kindern unterstützen – und so entsteht eine stabile Gemeinschaft.“
Wie finden sich die richtigen Menschen für eine Baugruppe, die ein Mehrgenerationenhaus planen?
Malte Schröder und sein Team begleiten Baugruppen dabei, passende Menschen zusammenzubringen. Viele fragen sich: Muss man sich bereits kennen, um ein solches Wohnprojekt zu starten?
„Nicht unbedingt. Viele Gruppen starten mit Freunden oder Familienmitgliedern, aber oft kommen auch Fremde dazu, die sich für das Konzept begeistern.“
Die Architektur spielt dabei eine große Rolle: Es gibt private Rückzugsorte, aber auch bewusst geschaffene Gemeinschaftsflächen, um das Miteinander zu fördern. Malte erklärt:
„Wir planen zum Beispiel große Gemeinschaftsküchen, Dachterrassen oder Gärten, in denen sich die Bewohner treffen können. Aber wer seine Ruhe möchte, kann sich jederzeit in seine eigenen vier Wände zurückziehen.“
Wie funktioniert die Finanzierung von einem gemeinschaftlichem Wohnprojekt? Ist es wirklich günstiger?
Viele denken, dass gemeinschaftliches Bauen günstiger ist – stimmt das?
„Wir bauen zum Selbstkostenpreis – das heißt, es gibt keinen Bauträger, der zusätzlich 15 bis 20 % Gewinn draufschlägt. Das macht den Wohnraum erheblich günstiger.“
Allerdings gibt es einen wichtigen Unterschied: Die Bewohner sind ihre eigenen Bauherren.
„Das bedeutet, dass man sich aktiv am Bauprozess beteiligt, Verträge unterschreibt und auch finanzielle Risiken trägt. Wer hier mitmacht, muss sich bewusst sein, dass nicht alles reibungslos läuft – Verzögerungen oder unerwartete Baukosten können immer auftreten.“
Doch genau das stärkt die Gemeinschaft. Die Mitglieder tragen Verantwortung füreinander, stehen finanziell füreinander ein und lösen Probleme gemeinsam.
Welche Herausforderungen gibt es?
Das Mehrgenerationenwohnen klingt auf den ersten Blick perfekt – doch es gibt Herausforderungen, die Malte Schröder offen anspricht:
„Eine der größten Hürden ist der soziale Faktor. Nicht jeder ist für diese Wohnform gemacht. Wer sehr auf seine Individualität pocht und wenig Kompromissbereitschaft mitbringt, wird es schwer haben.“
Es gibt auch organisatorische Dinge, die zu beachten sind:
„Viele unterschätzen den Moderationsprozess. Eine Gruppe von Menschen hat oft unterschiedliche Vorstellungen – und es braucht professionelle Begleitung, um Entscheidungen zu treffen, die für alle funktionieren.“
Dennoch: Wer sich darauf einlässt, kann eine starke Gemeinschaft aufbauen, die weit über das übliche Nachbarschaftsverhältnis hinausgeht.
Wie barrierefrei sind die Mehrgenerationen-Projekte von URBANSKY Architekten?
Ein wichtiger Punkt für mich persönlich war die Frage, wie zukunftsfähig diese Projekte sind – gerade wenn es um Barrierefreiheit geht.
„Wir planen so, dass die Wohnungen flexibel umgebaut werden können. Heute vielleicht eine Badewanne, aber wenn es nötig wird, kann sie durch eine bodengleiche Dusche ersetzt werden. Auch Türbreiten und Bewegungsflächen sind so konzipiert, dass sie später rollstuhlgerecht sein können.“
Außerdem werden Gemeinschaftsflächen so gestaltet, dass sie für alle zugänglich sind – von barrierefreien Eingängen bis hin zu Aufzügen und digitalen Unterstützungssystemen.
Welche Rolle spielen smarte Technologien?
Mich interessierte auch, inwiefern moderne Technologien in diese Wohnprojekte integriert werden.
„Wir setzen auf digitale Infrastruktur. Alle Baupläne, Verträge und wichtigen Informationen sind für alle Bewohner online einsehbar. Zudem gibt es digitale Plattformen, über die sich die Gemeinschaft organisiert – sei es für Veranstaltungen, geteilte Ressourcen oder Terminabsprachen.“
Auch innerhalb der Wohnungen gibt es smarte Lösungen:
„Digitale Heizungssteuerung, automatisierte Beleuchtung oder Verbrauchserfassung gehören mittlerweile zum Standard. Dadurch können Energiekosten gesenkt und die Wohnqualität verbessert werden.“
Wie wird sich das Wohnen in Zukunft verändern?
Am Ende unseres Gesprächs wollte ich von Malte Schröder wissen, ob er glaubt, dass das Mehrgenerationenwohnen die Zukunft ist – und ob er selbst langfristig in dieser Wohnform bleiben möchte.
„Ich habe neulich mit Freunden gesprochen, die sich überlegen, eine Alters-WG zu gründen. Manche hoffen, dass ihre Familie sie im Alter unterstützt. Und dann wurde mir bewusst: Ich habe mit unserem Mehrgenerationenprojekt bereits die perfekte Lösung für mich gefunden.“
Diese Wohnform ist mehr als nur ein Dach über dem Kopf – sie ist ein soziales Netzwerk, das Sicherheit und Gemeinschaft bietet.
„Ich glaube fest daran, dass das Modell Schule machen wird. Die Nachfrage steigt – und je mehr Menschen erkennen, welche Vorteile es bietet, desto mehr solcher Projekte wird es geben.“
Für mich persönlich war dieses Gespräch eine echte Inspiration. Vielleicht ist Mehrgenerationenwohnen wirklich die Antwort auf meine Frage, wie ich in Zukunft leben möchte?
Weitere Infos zu den Urbansky Architekten gibt es hier
Claudia Mattheis
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